Ich blogg dich weg!
Terrasse. Im hell erleuchteten Wohnzimmer saßen die letzten Partygäste. Einige lagerten auch auf Kissen, die auf dem hellen Teppich verstreut waren. Sie schienen sich prächtig zu unterhalten, sie lachten und kicherten, gossen sich Wein nach.
Ich wollte klopfen, doch dann tat ich es nicht, obwohl ich nicht wusste, warum. Weil ich im Dunkeln stand, konnte mich niemand sehen.
Jasmina führte so eine Art Pantomime auf. Sie legte übertrieben ihren Kopf in den Nacken und lachte affektiert. Dann klatschte sie in die Hände und schien jemanden anzuhimmeln, der nicht da war. Plötzlich verstand ich. Meine Schwester machte Ela nach und die anderen lachten sich darüber schlapp.
Ich trat vom Fenster weg und ging hinüber zu unserem Reihenhaus, in dem meine Eltern schon schliefen. Die kleine Tür, die zum Keller führte, war wie immer unverschlossen. Während ich durch das stille Haus nach oben schlich, dachte ich die ganze Zeit daran, dass ich Ela genauso sah wie meine Schwester. Aber sehen war eben nicht alles, und wenn ich Ela berührte, dann gab es da etwas, was meine Schwester nicht verstand. Ich verstand es ja selbst nicht.
Ich würde Ela nie trauen können, nicht so, wie ich Jasmina vertraute oder auch Julie. Ela würde immer etwas Unberechenbares für mich haben. Aber sie roch so gut, sie fühlte sich so gut an, und wenn sie mich küsste, dann war ich – tja, das wusste ich eben nicht.
JULIE
„Hier ist er!“, rief ich meiner Mutter zu. Das Bild von Noah auf dem Bildschirm war nicht besonders scharf, aber das machte nichts.
„Was geht?“, fragte Noah so deutlich, als sei er im Nebenzimmer. Dabei war er schon eine Woche in England und hatte bis jetzt nur kurz mit unserem Vater telefoniert und ein paar Bilder von der Seepromenade in Brighton auf sein Profil gestellt.
„Hallo!“, grüßte ich aufgeregt zurück. „Wie geht’s dir? Warum hast du mir noch nicht gemailt?“
Meine Mutter kam ins Wohnzimmer gelaufen und stellte sich hinter mich. Sie bückte sich über meine Schulter, damit Noah sie auch sehen konnte.
„Alles okay so weit“, sagte Noah. „Ihr wisst schon.“
„Wie ist das Essen? Ist es wirklich so schlimm?“, fragte Sandra.
Noah lachte und seine Gesichtszüge wurden durch die Übertragung merkwürdig verzerrt. „Nein“, sagte er schnell. „Aber es gibt zu allem Toast. Auch zu Pommes.“
„Und sonst? Verstehst du dich mit deiner Gastfamilie?“
„Klar, die sind cool. Morgen Abend gehen wir zu einem Fußballspiel. Also Darren, sein Vater und ich.“ Darren war der gleichaltrige Sohn der Gastfamilie, ein breiter Bursche mit heller Haut und fast schwarzen Haaren. Sehr englisch. Ich hatte ihn bereits auf einem Foto gesehen.
„Seit wann interessierst du dich für Fußball?“, neckte ich ihn.
„Seit heute“, gab Noah zurück.
„Und die Schule? Verstehst du alles?“, wollte Sandra wissen.
Auf dem Bildschirm sahen wir, wie Noah die Augen verdrehte.
„Es ist okay!“, sagte er fest. „Alles bestens.“
Wir schwiegen und ich merkte plötzlich, dass ich mich nie viel mit meinem Bruder unterhalten hatte, jedenfalls nicht so, ohne dass er da war. Wir hatten uns natürlich darum gestritten, wer die Spülmaschine ausräumen oder den Trockner anstellen musste. Und in den Bandproben gab es auch immer was, worüber wir reden konnten.
„Habt ihr schon einen neuen Schlagzeuger?“, fragte Noah.
Ich schüttelte den Kopf.
„Ihr habt noch gar nicht angefangen zu suchen, oder?“, fragte Noah weiter.
„Wir finden schon jemanden“, sagte ich. „Ist ja auch nur für ein Jahr.“
„Klar, in einem Jahr bin ich wieder dabei.“
„Wie ist das Wetter?“, fragte Sandra dazwischen. „Hast du genug warme Sachen mit?“
„Mama, hier sind es fast dreißig Grad. Ganz England stöhnt und meint, so einen heißen Sommer hätten sie noch nie gehabt.“
„Ja, ja gut dann“, sagte Sandra. Anscheinend gingen ihr die mütterlichen Themen aus.
Noah schien das zu bemerken, denn für uns überraschend gab er zu: „Ein bisschen Heimweh hab ich schon.“
„Echt?“ Sandra lächelte ganz weich.
„Ist ungewohnter, als ich gedacht habe. Aber ich komm schon klar.“
„Natürlich kommst du klar!“
Dann war wieder Sendepause. In meiner Familie redete man nicht großartig über Gefühle, aber wir waren trotzdem ziemlich eng miteinander verbunden. Deshalb reichte es jetzt auch, dass wir uns einfach nur anlächelten. Dann legte Noah entschuldigend den Kopf schief und sagte: „Mir fällt
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