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Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Titel: Ich. Darf. Nicht. Schlafen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. J. Watson
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Jedenfalls fitter als jetzt. Ich fragte mich, ob ich Sport machen sollte.
    Hinter dem Park öffnete sich eine von asphaltierten Wegen durchzogene Rasenfläche, auf der vereinzelte Mülleimer standen und Frauen mit Kinderwagen unterwegs waren. Ich merkte, dass ich nervös war. Ich wusste nicht, was mich erwartete. Wie auch? In meinen Visionen trägt Claire meistens Schwarz. Jeans, T-Shirts. Ich sehe sie in schweren Stiefeln und im Trenchcoat. Oder aber sie trägt einen langen Batikrock aus einem Stoff, den man wohl als leicht und luftig bezeichnen würde. Ich konnte mir nicht vorstellen, was wohl an die Stelle dieser beiden Versionen getreten war, ging aber davon aus, dass sie in unserem jetzigen Alter einen anderen Stil pflegte.
    Ich sah auf die Uhr. Ich war früh dran. Automatisch sagte ich mir, dass Claire immer zu spät kommt, und fragte mich prompt, woher ich das wusste, welches Erinnerungsrudiment mir das sagte. Da ist so viel, sagte ich mir, knapp unter der Oberfläche. So viele Erinnerungen, die wie silbrige kleine Fische in einem seichten Bach herumflitzen. Ich beschloss, auf einer der Bänke zu warten.
    Lange Schatten reckten sich träge über das Gras. Über den Bäumen erstreckten sich Häuserreihen von mir weg, dicht an dicht, klaustrophobisch eng. Erschrocken stellte ich fest, dass eines dieser unterschiedslosen Häuser, die ich sehen konnte, dasjenige war, in dem ich jetzt wohnte.
    Ich stellte mir vor, wie ich eine Zigarette anzündete und nervös einen tiefen Zug nahm, kämpfte gegen den Drang, aufzustehen und hin und her zu gehen. Ich war aufgeregt, lächerlich aufgeregt. Dabei hatte ich doch keinen Grund dazu. Claire war meine beste Freundin gewesen. Ich hatte nichts zu befürchten. Ich war sicher.
    Farbe blätterte von der Bank ab, und ich zupfte daran, legte mehr von dem feuchten Holz darunter frei. Jemand hatte auf dieselbe Art die Initialen zweier Namen neben meinem Platz in die Bank gekratzt, mit einem Herzen drum herum und dem Datum darunter. Ich schloss die Augen. Werde ich mich irgendwann nicht mehr erschrecken, wenn mir klar wird, in welchem Jahr ich lebe? Ich atmete ein: feuchtes Gras, der Geruch von Hotdogs, Benzin.
    Ein Schatten fiel auf mein Gesicht, und ich öffnete die Augen. Eine Frau stand vor mir. Groß, mit fuchsrotem Haar; sie trug eine Hose und eine Schaffelljacke. Ein kleiner Junge hielt ihre Hand, einen Plastikfußball unter den Arm geklemmt. »Entschuldigung«, sagte ich und rückte ein Stück zur Seite, um ihnen Platz zu machen, doch dann sah ich, dass die Frau lächelte.
    »Chrissy!«, sagte sie. Es war Claires Stimme. Unverkennbar. »Chrissy, Süße! Ich bin’s.« Ich blickte von dem Kind in ihr Gesicht. Es war furchig, wo es einmal glatt gewesen sein musste, die Augen lagen tiefer als in meiner Vorstellung, aber sie war es. Ohne Zweifel. »Mein Gott«, sagte sie. »Was hab ich mir für Sorgen um dich gemacht.« Sie schob mir das Kind entgegen. »Das ist Toby.«
    Der Junge sah mich an. »Na los«, sagte Claire. »Sag hallo.« Einen Moment lang dachte ich, sie meinte mich, doch dann kam er einen Schritt näher. Ich lächelte. Mein einziger Gedanke war,
Ist das Adam?
, obwohl ich wusste, dass das nicht sein konnte.
    »Hallo«, sagte ich. Toby scharrte mit den Füßen und murmelte etwas, das ich nicht verstand, dann drehte er sich zu Claire um und sagte: »Kann ich jetzt was spielen?«
    »Lauf aber nicht zu weit weg. Ja?« Sie strich ihm übers Haar, und er lief in den Park.
    Ich stand auf und wandte mich ihr zu. Ich war mir nicht sicher, ob ich nicht auch lieber auf dem Absatz kehrtgemacht hätte und weggelaufen wäre, so gewaltig war die Kluft zwischen uns, doch dann streckte sie die Arme aus. »Chris, Liebes«, sagte sie, und die Plastikarmbänder um ihre Handgelenke klapperten. »Ich hab dich vermisst. Ich hab dich so wahnsinnig vermisst.« Das Gewicht, das auf mir lastete, schlug einen Purzelbaum, hob sich und verschwand, und ich sank ihr schluchzend in die Arme.
    Für einen ganz kurzen Moment hatte ich das Gefühl, alles über sie zu wissen und auch alles über mich. Es war, als ob die Leere, der Hohlraum mitten in meiner Seele, von einem Licht erleuchtet worden wäre, das heller war als die Sonne. Eine Vergangenheit – meine Vergangenheit – blitzte vor mir auf, doch zu schnell, um sie richtig zu fassen. »Ich erinnere mich an dich«, sagte ich. »Ich erinnere mich an dich«, und schon war es verschwunden, und die Dunkelheit verschlang wieder alles.
     
    Wir

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