Ich darf Sie nicht lieben, Miss Jessica
sein.“ Er ließ sich aufhelfen und lehnte sich zitternd gegen das Gig.
„Haben die Kerle dir etwas getan?“, wandte er sich dann an seine Schwester, die ebenfalls aufgestanden war. „Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn …“
„Mach dir keine Sorgen, Nick, mit mir ist alles in Ordnung.“ Jessica eilte an seine Seite, ergriff seine Hand und drückte sie beruhigend. „Bloß unser gesamtes Geld ist weg“, setzte sie mit einem schiefen Lächeln hinzu.
„Oh, gut“, erwiderte ihr Bruder, noch immer leicht benommen. „Dann sollten wir uns wohl besser gleich auf den Weg machen.“ Tief Luft holend, straffte er die Schultern, griff nach dem Seitengeländer des Gig und versuchte, auf den Kutschbock zu klettern.
Er wäre ein zweites Mal zu Boden gestürzt, hätte der Fremde nicht geistesgegenwärtig seine Arme ausgestreckt, um ihn aufzufangen.
„Vielleicht ein bisschen zu früh?“ Der Gentleman lächelte Nicholas aufmunternd zu, während er ihn ohne sichtbare Anstrengung auf den Fahrersitz hob. „Halten Sie sich gut fest, mein Junge“, wies er ihn an. „Wir werden Sie irgendwie anbinden müssen. Ihre Schwester kann doch hoffentlich kutschieren?“
Ohne auf Jessicas Proteste zu achten, marschierte er zu seinem Pferd und zog ein Stück Seil aus der Satteltasche. Dann kam er zurück und band Nicholas an der Rückenlehne des Sitzes fest.
„Das sollte reichen.“ Er nickte zufrieden und wandte sich zu Jessica um. „Hinauf mit Ihnen, Miss Beresford“, sagte er munter und reichte ihr die Hand, um ihr auf den Kutschbock zu helfen. „Und vor weiteren Überfällen brauchen Sie keine Angst zu haben. Ich werde auf dem Rest des Weges hinter Ihnen herreiten.“
Obwohl sie beinahe kochte vor Wut über die arrogante Annahme des Fremden, sie komme ohne seine Hilfe nicht nach Hause, blieb Jessica stumm und tat, wie er ihr geheißen. Erst als sie Platz genommen hatte und die Zügel in der Hand hielt, fiel ihr auf, dass er ihren Namen kannte.
„Woher, glaubst du, weiß er, wie wir heißen?“, fragte sie Nicholas flüsternd, während sie beobachtete, wie der Unbekannte sich behände in den Sattel schwang. „Meinst du, er könnte auch ein Spitzbube sein – ein Komplize der beiden anderen vielleicht?“
„Merkwürdiger Komplize, der Schüsse auf seine Kameraden abfeuert“, versetzte ihr leichenblasser Bruder. „Sei nicht so ein Gänschen, Jess. Der Bursche hat uns einen großen Dienst erwiesen – aber wie wir das alles Matt erklären sollen, ist mir wirklich schleierhaft.“
2. KAPITEL
Die ersten hundert Meter blieb ihr Begleiter hinter dem Gig, die grauen Augen wachsam auf die Umgebung gerichtet. Doch als sie allmählich in dichter besiedelte Gegenden kamen, schloss er zu ihnen auf, bis er schließlich neben dem Gefährt herritt.
„Ich hoffe, Ihr Bruder hat sich ein wenig von dem Schock erholt“, bemerkte er höflich.
„Es scheint ihm ganz gut zu gehen, danke, Sir“, erwiderte Jessica, ohne den Kopf zu drehen. Sie hielt den Blick fest auf die Straße gerichtet und fragte sich, wieso er ihren Namen kannte und woher er wusste, dass Nicholas ihr Bruder war. Es bereitete ihr Unbehagen, dass dieser Fremde – wer immer er sein mochte – so gut über ihre Familienverhältnisse Bescheid zu wissen schien.
Doch als die Stille zwischen ihnen lastend zu werden drohte, bekam sie Gewissensbisse, und mit einiger Verspätung fiel ihr ein, dass sie ihm noch nicht einmal für sein rechtzeitiges Eingreifen gedankt hatte.
„Wir stehen tief in Ihrer Schuld …“, setzte sie an und hörte, wie er lachte. Blitzschnell wandte sie sich zu ihm um und starrte ihn wütend an. „Was finden Sie so erheiternd an meinen Worten, Sir?“
„Gar nichts, Madam“, versicherte er prompt. „Ich bin froh, dass ich Ihnen helfen konnte.“
Obwohl er sie nicht anschaute, entging es Jessica nicht, dass er breit grinste. Indes musste sie bei aller Empörung über seine Frechheit widerwillig einräumen, dass er teuflisch gut aussah, wenn er lächelte. Sie biss sich auf die Lippe und suchte verzweifelt nach einer weniger gestelzten Formulierung, mit der sie ihrer Dankbarkeit Ausdruck verleihen konnte.
„Ich frage mich, warum diese Männer ausgerechnet uns überfallen haben“, sagte sie schließlich. „Man sollte doch meinen, dass Räuber sich bei den Insassen eines so schäbigen Vehikels wie diesem keinerlei Beute versprechen.“
„Dass sie es taten, lag wohl eher daran, wie Sie im ‚Rose and Crown‘ mit Ihrer Barschaft
Weitere Kostenlose Bücher