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Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen

Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen

Titel: Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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weitere Selbstmorde. Ein Jahr zuvor, im November 1964, waren es 1639, ein Jahr danach, im November 1966, 1665.   Bei 26 von 33 untersuchten Suiziden fand Philipps Hinweise auf einen klaren Werther-Effekt   – und zwei weitere Wirkungsketten: Zum einen stieg die Zahl der Selbstmorde umso stärker, je mehr Medien über den Selbstmord berichtet hatten. Füllte der Fall nur einen Tag die Schlagzeilen, kletterte die Suizidrate im Schnitt um 29   Nachahmer; berichteten die Blätter zwei Tage über den Selbstmord, motivierte das bereits 35   Lebensmüde, dem Beispiel zu folgen; bei drei Tagen waren es ganze 82.   Zum anderen entdeckte Philipps einen deutlichen Zusammenhang mit der Popularität des Opfers: Je prominenter das war, desto größer die Zahl der Nachahmer. Trauriger Höhepunkt: Nach dem Selbstmord der U S-Schauspielerin Marilyn Monroe brachten sich in den USA 198   Menschen mehr um, als statistisch gesehen normal ist.
    Den Schluss daraus zu ziehen, dass die Medien deshalb gar nicht mehr über den Freitod von Prominenten berichten dürfen, wäre allerdings genauso verkehrt. Es sind Personen des öffentlichen Lebens, entsprechend groß ist das Bedürfnis der Gesellschaft, etwas über die Hintergründe ihres gewählten Ablebens zu erfahren. Psychologen mahnen Medien im Sinne des Werther-Effekts aber zu größerer Sensibilität: Es komme darauf an,
wie
über den Selbstmord berichtet werde.
    So fand der österreichische Psychiater Gernot Sonneck schon in den Achtzigerjahren heraus, dass sich selbstmordgefährdete Jugendliche von einer ganz bestimmten Art der Berichterstattung beeinflussen lassen: Besonders heikel ist es demnach, den Selbstmord als etwas Heldenhaftes und Erleichterndes zu schildern. Deshalb sollte zum Beispiel der Begriff »Freitod« konsequent vermieden werden, da er den Selbstmord tendenziell verklärt und verherrlicht. Dass sich Jugendliche in diesem Sinne von drastisch formulierten Berichten positiv beeinflussen lassen, zeigt das Beispiel Kurt Cobains. Als sich der Frontmann und Gitarrist der amerikanischen Rockband Nirvana am 5.   April 1994 in Seattle eine Kugel in den Kopf jagte, schilderten die Medien grausame Details: Cobains Gesicht sei so entstellt gewesen, dass er nur anhand seiner Fingerabdrücke identifiziert werden konnte. Bei der Trauerfeier wurde den Fans zudem ein Tonband von Cobains Witwe Courtney Love vorgespielt, die nicht nur den Tod ihres Mannes beklagte, sondern ihn auch für seine Feigheit beschimpfte. Effekt: Die Selbstmordwellen blieben aus.
    Ganz anders dagegen die Berichterstattung über den Selbstmord Robert Enkes. Als sich der an schwerer Depression erkrankte Nationaltorhüter am 10.   November 2009 an einem Bahnübergang im niedersächsischen Eilvese vor einen Zug warf, breitete vor allem die ›Bild‹-Zeitung sämtliche Details aus: Enkes letzte Stunden, Fotos seines geparkten Autos. Die rührende Trauerfeier wurde live im Fernsehen übertragen, eine Schülerin sang das Lied von Enkes Verein (»96, alte Liebe«). Enkes Ableben wurde in einer Weise heroisiert, die zwar die tiefe Anteilnahme derMenschen mit einem Idol spiegelte, jedoch die damit verbundenen Gefahren völlig verantwortungslos ausblendete. Hinter vorgehaltener Hand bestätigen denn auch Experten, dass in den Monaten danach die Zahl der Selbstmörder auf deutschen Bahnstrecken sprunghaft anstieg.

D ER S TREISAND-EFFEKT
    Wieso Widerstand zwecklos ist
    Klaus Kleinfeld galt als Chef zum Anfassen. Mit nur 47   Jahren lenkte er schon die Geschicke von Siemens   – immerhin dem größten deutschen Technologiekonzern   –, trotzdem ließ er sich von seinen Kollegen duzen. Ein Sympathieträger, ein Arbeitersohn, und obwohl ein Top-Manager, auch ein Mensch wie du und ich.
    Das Foto, das 2005 zu seiner Amtseinführung erschien, passte jedoch nicht so recht ins Bild: Es zeigt den neuen Konzernchef, wie er sich lässig gegen ein Geländer lehnt, mit einer Rolex am Handgelenk. Deren Listenpreis: 3270   Euro. Irgendwann müssen Kleinfeld Bedenken gekommen sein: »Ob eine solche Uhr die richtige Botschaft transportiert? Erinnert sie nicht doch zu sehr an einen Lebemann?« Man kann nur spekulieren, was genau in ihm vorgegangen sein mag, jedenfalls verschwand die Luxusuhr vom Handgelenk und von den Fotos, die der Presse zugestellt wurden. Wegretuschiert, weil Kleinfeld die Uhr »zu dominant« erschien, so jedenfalls die offizielle Stellungnahme.
    Der Effekt war jedoch ein ganz anderer: Die Uhr

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