Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen
in zahlreiche Lebenslagen hinein. Andere überschneiden sich oder heben sich gar gegenseitig auf. Aber so ist das im Leben eben: Der Mensch ist keine Maschine, mal ticken wir so, mal so. Es sind die Umstände und die Tagesform, die dann den Ausschlag geben. Gleichwohl: Beeinflusst werden wir trotzdem – so oder so.
Unter den zahlreichen Fundstücken, die uns haben hochschnellen lassen wie eine Scheibe Toast, waren freilich auch einige Kuriositäten wie etwa der Butterfly- oder Schmetterlings-Effekt, bei dem es sich eher um eine Theorie handelt. Danach kann der Flügelschlag eines einzigen Schmetterlings einen Wirbelsturm auf der anderen Erdhalbkugel auslösen. Theoretisch jedenfalls. Ob Sie es glauben oder nicht: Seit den Sechzigerjahren bildet dieser Effekt die Grundlage für das Wissen um dynamische und chaotische Systeme. Er ist Teil der sogenannten Chaos-Theorie. Doch auch wenn das Schreiben dieses Buchs zugegebenermaßen zu einem temporären Chaos auf unserem Schreibtisch geführt hat, bezweifeln wir stark, dass etwa das Begießen der Veröffentlichung ein neues Rhein-Hochwasser auslösen wird. Falls doch: sorry!
Gewiss, solche skurrilen Wirkungsketten lassen sich noch abtun als halbwissenschaftliche Spinnerei. Die überwiegende Mehrheit der Effekte dieses Buchs aber enthält allerlei Denkwürdiges, wenn nicht gar Beängstigendes. Ein Beispiel: Angenommen, wir würden Ihnen zehn Euro anbieten. Einfach so.Oder ein Lotterielos mit einer Fifty-fifty-Chance auf einen Gewinn im Wert von 20 Euro. Wofür würden Sie sich entscheiden? Nun, vermutlich würden Sie eher die zehn Euro nehmen – lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach … Aber nun stellen Sie sich bitte vor, unsere reizende Assistentin (Leserinnen stellen sich an dieser Stelle bitte den Mann aus der Colalight-Werbung vor) würde Sie kurz vorher sanft an der Schulter berühren. Welche Option fänden Sie jetzt attraktiver? Gut, in der Theorie und bei der Lektüre dieser Zeilen dürfte die Vorstellung keinerlei Unterschied machen. Aber in der Realität sehr wohl! Jonathan Levav von der Columbia-Universität hat diesen Versuch unter Realbedingungen durchgeführt, Resultat: Die Probanden entschieden sich signifikant häufiger für die Risiko- beziehungsweise Los-Variante, um genau zu sein: 6,47 Mal häufiger als die Unberührten.
Das mag ein noch relativ belangloser Zusammenhang sein, aber es gab auch andere Experimente dazu. Bei einem bekamen die Versuchspersonen fünf kanadische Dollar und konnten diese wahlweise in eine vergleichsweise sichere Anlageform mit vier Prozent Zinsen investieren oder in eine riskante Aktien-Alternative mit hohem Risiko auf Totalverlust. Wieder wurde ein Teil der Probanden scheinbar zufällig vorher an der Schulter berührt, eine zweite Gruppe wurde mit Handschlag begrüßt, die dritte Kontrollgruppe hatte keinerlei Hautkontakt. Sie ahnen bereits, was passierte: Wer berührt wurde, vor allem an der Schulter, investierte bis zu vier Dollar in Aktien. Und jetzt übertragen Sie dieses Wissen bitte auf einen Manager mit hoher Budgetverantwortung, der eine für das Unternehmen dramatische Investition abwägen soll und kurz zuvor von seiner reizenden Assistentin einen Stups bekommt! Es ist nur eine kleine Geste für ihn, aber eine große Folge für die Belegschaft …
All die Studien, all die Effekte und psychosozialen Gesetzmäßigkeiten, die wir zusammengetragen haben, nähren erheblichen Zweifel daran, dass der Mensch tatsächlich so etwas wie ein rationales Wesen ist, das seine Entscheidungen stets bewusstund im Einklang mit seinem Gewissen fällt. Stattdessen deuten die über Jahre hinweg dokumentierten Wirkungsweisen auf einen fundamentalen Einfluss unseres Unterbewusstseins sowie unterschwelliger Reize hin, die unser Handeln mehr steuern als unser Verstand. Kurz: Es geht um die heimliche Macht der Effekte. Oder wie es Arthur Schopenhauer einmal auf den Punkt brachte: »Der Mensch ist frei zu tun, was immer er will. Aber er ist nicht frei darin, zu wählen, was er will.«
Nitin Nohria, Dekan der Harvard Business School, beschäftigt sich ebenfalls seit vielen Jahren damit, was Menschen antreibt. Er wiederum geht davon aus, dass vier Grundbedürfnisse das menschliche Handeln steuern: der Wunsch, etwas zu besitzen, sich zu binden, Errungenes zu verteidigen, und – das Bedürfnis, die Welt um uns herum zu verstehen. Besonders Letzteres fällt uns in einer immer komplexeren, hektischeren Welt
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