Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Visier des Todes

Im Visier des Todes

Titel: Im Visier des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O Krouk
Vom Netzwerk:
1
    »Zeig mir, dass du noch leidest.«
    Der Sucher des Fotoapparats ist wie ein Schlüsselloch. Deinen Körper rekelst du davor. Wie Marionettenfäden zerren an dir die Anweisungen: Sei glücklich, du schönes Ding, das stets für andere lacht. Strafe sie mit deinen Blicken. Schenke ihnen deine Gnade.
    »Zeig mir mehr Ausdruck, Céline. Zeig mir, was du spürst.«
    Jede Drehung des Kopfes, jede Regung deiner Züge ist wie eine Offenbarung. Man muss dich bewundern, begehren.
    »So ist es gut. Wunderbar. Ja. Ja … «
    Unbequem ist der Hocker, hölzern und starr deine Position. Kälte kriecht aus jedem Stein des Gewölbes und verhöhnt deinen nackten Körper. Noch ist es nicht das Ende, keine Erholung ist dir vergönnt. Der Zeitdruck ist unerträglich. Doch für diese Bilder wirst du alles tun, das Unerträgliche ertragen, das Unvorstellbare verstehen, denn du weißt, dass es danach nichts mehr geben kann.
    Mach, mach weiter. Verschließe deine Augen nicht vor dem Licht der Strahler. Verstecke nicht ihre Tiefen. Verführe die Sünder, ermahne die Achtlosen, und sie alle werden dir zu Füßen liegen.
    Niemanden lässt du in deine Nähe. Wer es gewagt hat, ist in deinen Armen erfroren, noch bevor sein heißer Atem dein Herz erreichen konnte. Nur die Kamera darf dich lieben. Vorsichtig erfasst sie deine Wange und den weißen Flaum auf deiner Haut, jedes Härchen und jede Pore.
    Du reißt deine Augen auf, anklagend ist dein Ausdruck.
    Zu nah. Eindeutig zu nah. Recht hast du. Diese Unprofessionalität ist deiner nicht würdig.
    »Entschuldige.«
    Der Fokus erfasst deine Lippen. Blass sind sie und ein klein wenig aufgesprungen. Noch ein paar Schritte zurück. Oh, Céline, warum bist du nur so unersättlich? Warum lässt du keinen Frieden walten? Siehst du nicht, wie verzweifelt …
    Schluss jetzt, kein Wort, kein Hinterfragen!
    »Wunderbar. Das machst du absolut toll. Es werden hervorragende Fotos sein, genau das, was wir brauchen. Die besten deines Lebens.«
    Sanft senkt sich dein Wimpernkranz. Schon wieder verbirgst du die Augen, zu müde, in die Welt zu blicken. Deine Augen! Die von Abgründen der menschlichen Seele erzählen. Wer könnte behaupten, sie richtig abbilden zu können?
    »Céline, ich weiß, du bist müde. Aber ich brauche noch ein paar Bilder. Dafür würde ich gern eine Kleinigkeit korrigieren. In Ordnung?«
    Damit jeder den Atem anhält. Damit jeder dein Leid spürt. Durchdrungen von der Ohnmacht der Bilder.
    Erschöpft nickst du, ergeben, erobert.
    »Ich glaube, es macht wenig Sinn, auf eine Visagistin zu warten. Meinst du, ich bekomme das hin?«
    Die Kamera – beiseitegelegt.
    »Es dauert nicht mehr lange.«
    Wie kalt ist das Skalpell, wie hart das Metall! Ein Fremdkörper in der eigenen Hand.
    Du reißt den Mund auf, deine dunkle, feuchte Höhle. Doch wer wird deinen Schrei erhören?
    »Sei ein braves Mädchen, Céline. Sei jetzt ganz still. Ich möchte dich nicht unnötig verletzen.«
    Vergebens um Einsicht beschworen. Umsonst zur Vernunft gemahnt! Wie ein Fisch zappelst du in deinen Fesseln. Sag, woher diese plötzliche Kraft? Was nährt diesen sinnlosen Widerstand?
    »Nein, nein, so kommen wir nicht weiter.«
    Wer nicht hören kann, dem sei es gezeigt. Wer nicht begreifen will, der möge es spüren. Nun sieh, was du angestellt hast! Dein Kopf wird fixiert, mit einem Strick das Bild verdorben.
    Die Hand hat das Skalpell angewärmt. In einem roten Meer werden deine roten Augen schwimmen. Die Schuldigen werden blutige Tränen weinen. Welch ein Zusammenspiel von Farbe und Kontrast! Die Kamera wird es lieben.
    Große, sinnliche Augen. Schutzlos und nackt.
    Es ist vollbracht.
    Schlaff baumelt dein Kopf zur Seite.
    Was ist nur, Céline? Du wirst doch nicht schlappmachen, so kurz vor dem Ende?
    »Zeig mir, dass du noch atmest!«
    Der Blick folgt dem Blutstropfen, der über die schneeweiße Wange läuft, den Hals herunter, an der goldenen Kette entlang, um über dem Zwillingszeichen-Anhänger zu verharren.
    Warum … warum nur das Zwillingszeichen?

2
    »Danke, dass du gekommen bist.« Leah spreizte ihre Finger und strich den Rock über den Knien glatt. Das Stimmengewirr der Trauergäste schien in jeder Diele des Hauses zu vibrieren, als säße sie nicht auf den Treppenstufen, sondern in einem Bienenstock.
    Beharrlich starrte Poul auf ihre Hände. Einer ihrer Nägel war abgebrochen. Leider hatte sie noch nicht die Zeit gefunden, ihn in Form zu bringen. Andere Maniküre-Unfälle dürfte sie heute aber

Weitere Kostenlose Bücher