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Ich - der Augenzeuge

Ich - der Augenzeuge

Titel: Ich - der Augenzeuge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Weiß
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genug, die mir zu schaffen machten, zum Beispiel die, für meine Halbgeschwister wenigstens in beschränktem Maße zu sorgen. Die 20 Mark waren fällig. Vroni mahnte. Ich nahm mir ein Herz und ging zu meinen Eltern, außer der Reihe, denn mein regelmäßiger Besuchstag war Sonntag. Mein Vater hatte mir die sonst an jedem Ersten fälligen 25 Mark diesmal nicht gegeben, weil er annahm, ich sei hier aller Sorgen enthoben. Er konnte nicht wissen, daß ich mich um seine unehelichen Kinder (man nannte diese Art unglücklicher Geschöpfe hier ›liederliche Bamsen‹) kümmern mußte. Er sammelte das Anfangskapital für seine Holzwarenerzeugung, meine Bitte kam ihm sehr ungelegen. Er fragte, ob ich denn gleich ganze 25 Mark für Zigaretten brauchte. Nun hatten mich hier die Zigaretten keinen Pfennig gekostet, da Katinka von Anfang an so vorsorglich war, täglich eine große Schachtel bester Zigaretten neben mein Mikroskop zu stellen. Der Alte sah es, wagte aber kein Wort dagegen, er, der große alte Mann, fürchtete Katinkas Zorn. Aber das konnte meinen Vater nicht interessieren. Ich sagte ihm, ich bekäme keinen Heller ausgezahlt von Geheimrat Kaiser, denn ich arbeite meine Schulden bei ihm ab. »So, du hast Schulden?« sagte er. »Das ist ja besonders schön«, und schlug zwei Holzfurniere klappernd gegeneinander. Ich nahm ihm die Holzplatten fort und sagte, wie groß die Summe sei. Er riß mir jetzt die Holzplatten aus der Hand – ich hatte sie ganz mechanisch ergriffen, damit der Lärm aufhörte – und zischte durch Zahnlücken (er hatte das Geld zu einer teuren Zahnbehandlung nicht übrig), er hätte trotz allem nicht geglaubt, ich würde auf seinen bescheidenen Namen Schulden machen. Mich empörte dieses Wort. Er vergaß, vielleicht weil es ihn demütigen mußte, daß er und die Mutter durch ein Jahr fast ausschließlich von dem nur für mich bestimmten Gelde des Großonkels gelebt hatten. Ich beherrschte mich, ich stand als objektiver Beobachter, als Augenzeuge der Tatsachen, da. Aber ich blieb dabei, er müsse mir 20 Mark geben, wenn schon nicht 25 Mark. Aber daß ich ihm dieses Geschenk von fünf Mark machte, brachte ihn noch mehr auf. »Also fünf lumpige Sch...mark wagst du Schandbube mir ins Gesicht zu werfen, nachdem du mich um meinen Ruf hier gebracht hast?« Ich schwieg darauf. Ich hielt still. Ich wußte wohl, worauf sich das bezog. In dem Formular des Mittellosigkeitszeugnisses, das ich mir der Studienkosten wegen hatte ausstellen lassen, war eine Rubrik: Beruf des Vaters. Ich hatte eingeschrieben ›Kleinhäusler‹. Hätte ich geschrieben Oberingenieur i.R. oder Holzwarenfabrikant in spe, wäre das Gesuch zurückgewiesen worden. So aber war es zu dem Bürgermeisteramt von S. gewandert und mochte dem Renommee meines Vaters hier nicht eben genutzt haben. Meine Mutter trat hüstelnd hinzu, wischte sich die Hände an der Schürze ab (sie schwitzten immer noch, das hing mit ihrer Schwäche zusammen, von der sie sich niemals ganz erholt hat) und redete uns beiden gut zu, besonders ihm. Ich nahm alle Schuld auf mich, bestand aber auf dem Geld. Und bekam es. Vroni war im Dienst, die Kinder waren auf dem Land, bei armen Bauern. Das, was mein Vater von Amts wegen zu zahlen verpflichtet war, reichte nicht ›für Hemd und Hosen‹, die Kinder waren zarter, als man geglaubt hatte, und ich war entschlossen, mein Wort zu halten. Ich hatte es unter schweren Bedingungen gehalten und mich wohl dabei befunden, und meine Geschwister, die gar nicht liederlichen Bamsen, auch.
    Daheim, das heißt bei Kaiser in der Villa, erwartete mich eine Überraschung. Ich war ausquartiert. Ein neuer Gast war gekommen, es war der Schauspieler, Helmuts Freund, der auf dessen verzweifelte Bitten hin hierhergereist war. Helmut hatte sich sofort beruhigt, obwohl ich sah, daß der Schauspieler, ein Mann in reiferen Jahren, mit scharfen, durchgeistigten, sehr wandelbaren und bei aller Routine sehr kindlichen Zügen, ihn als Mann nicht voll nahm. Er schien sich für Katinka viel mehr zu interessieren.
    Vater Kaiser sah aber die beiden, Oswald Schwarz und Katinka, in der Folgezeit ohne Eifersucht miteinander plaudern, rudern, schwimmen, Tennis spielen, sogar auf die Jagd gehen, von der sie aber nur ein so klägliches Wild wie einen Kolkraben mitbrachten. Auf einen Mann über fünfunddreißig eifersüchtig zu sein wäre Kaiser absurd erschienen. Er war eben blind, er sah nicht, was er nicht sehen wollte. Er glaubte, bloß sein vorgerücktes Alter

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