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Ich - der Augenzeuge

Ich - der Augenzeuge

Titel: Ich - der Augenzeuge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Weiß
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stürmisch, fast besinnungslos, wie ein Jüngling, alles um sich vergessend. So fing er nämlich jedesmal an. Er vergötterte die junge Katinka mit der Parfümmanie, der rosigen Stimme, das feine, adelige Geschöpf. (Alle seine Frauen stammten aus aristokratischen Familien, meist verarmten.) Nach einer gewissen Zeit aber, als er die Frauen durchschaut hatte, hatte er sich jedesmal langsam, schonend, aber unerbittlich von ihnen abgewandt und sich als reifer Mann, der er doch war, spartanisch seiner Gelehrtentätigkeit wieder zugewandt. Er hatte nur nach dem besten Wege gesucht, um sich von ihnen zu befreien. Diesmal aber schien ihm der Schluß nicht so gut zu gelingen, wie ihm der Anfang gelungen war. Bisher hatten sich die Frauen immer stärker an ihn geklammert, je mehr er sich von ihnen abwandte. Die letzte aber, ein strohdummes, aber äußerst niedliches Ding, mit jener flötentonartigen, seelenlosen Stimme begabt, der, für ihn wenigstens, schwer zu widerstehen war, hatte es verstanden, dem Blaubart nicht zu verfallen. Sie lachte, tollte, blieb aber kühl, kapriziös, schmückte sich für sich, parfümierte sich für sich und herzte das braune gelockte Hündchen so, wie der Geheimrat geherzt werden wollte. Vergebens verschanzte sich der Alte hinter seine Gehirnschnitte, schon nach zwei Wochen gab er mir mein Pensum auf, blieb aber nur eine bis zwei Stunden täglich bei mir, dann aber wich er dem Frauchen nicht von der Seite, er war eifersüchtig auf jeden Blick, den das kindliche Ding einem anderen Mann zuwarf, mochte dieser andere Mann sein Sohn Karl Otto oder der scheue, häßlich gewordene Helmut sein oder ich, der Hungerstudent auf Ferien. Aber ich erwiderte diese Blicke nicht. Für mich war sie ein ›unreines Gefäß‹, um so unreiner, je rosiger, küßlicher und zierlicher sie war. Er gewann sie durch eine neue Liebesglut wieder, glaubte er. In Wahrheit wurde er zu ihrem Sklaven, und bald wußte er es.
    Leider war auch mein armer Helmut zum Liebessklaven geworden. Er vertraute mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit an, er hänge bis zur Verzweiflung an einem alternden Schauspieler, der ihn so lange mit seiner Liebe verfolgt habe, bis er ihm nachgegeben hätte, ohne zu ahnen, was ihm an ›Wonnen‹, aber auch an schauerlichen Qualen der Eifersucht bevorstände. Denn der Schauspieler liebte auch Frauen, vielleicht sogar mehr als Männer. War das möglich? Fragen über Fragen, Unruhe, Schlaflosigkeit, Wahn, Haß und Liebe durcheinander. War es der Mühe wert? Ich war froh, daß ich dergleichen nicht kannte. Hätte ich eingreifen sollen? Aber wie? Vielleicht konnte ich es. Ich hatte Einfluß auf ihn. Mir hätte er gehorcht. Aber ich wollte lieber Augenzeuge sein und guter Kamerad. Ich hatte meine Arbeit, damit genug.
     
    Meine Arbeit war schwer, aber voll ruhiger Freude. Mein persönliches Leben war es nicht, nicht so freudig und ruhig. Helmut hatte sich enttäuscht von mir abgewandt, weil ich nicht mit ihm über seine Leidenschaft diskutieren wollte, mein Meister beobachtete mich argwöhnisch und begriff erst später, daß ich niemals auch nur im Traum daran gedacht hatte, sein Nebenbuhler bei der Katinka mit der rosigen Stimme zu werden.
    Die Wahrheit zu gestehen, im Traum war ich es. Aber wer wollte mich deswegen richten? Im Traume wurde mir mit wildem, blitzartigem Entzücken klar, mit einem Aufzucken blutiger Lust – ich kann nur dieses ungezügelte Wort verwenden –, daß ich auch anderes in mir trug als den Wunsch nach ehelicher Kameradschaft mit einer älteren, eher mütterlichen als leidenschaftlichen Frau. Aber ich trat Katinka genauso unbefangen gegenüber, als wäre sie ein Helmut oder Karl Otto in Röcken. Sie merkte es und schmollte. Was wollte man von einem blutjungen törichten Persönchen, von dem die Hausdame erzählte, sie hätte den alten Kaiser (von seinem Geld und seiner Berühmtheit abgesehen) hauptsächlich deswegen geheiratet, weil der Name Katinka Kaiser so ›putzig‹ klinge. Vielleicht wäre es noch etwas klüger von mir gewesen, die Verliebtheit der süßen Nixe (beim Schwimmen sah ich sie von oben aus meinem Zimmer als wirklich bezauberndes Wesen in ihrem schwarzen Trikot inmitten des blaugrünen Bergsees) dazu zu benutzen, um sie zu erziehen. Aber war das meine Aufgabe? Brauche ich nicht selbst eine Autorität über mir? Durfte ich schon jetzt dem Drang nachgeben, selbst eine zu sein und das Schicksal zu spielen? Ich war jung, jünger als sie.
    Ich hatte schon Pflichten

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