Ich & Emma
“Wie geht es dir?”
In meinem Kopf dreht sich alles. Da ist Miss Ueland, die mit mir über den Bluterguss auf meinem Arm spricht, an derselben Stelle, wo Emma ihn an diesem Tag auch hatte. Ich verstehe das alles nicht.
“Nachdem du jetzt etwas Zeit zum Nachdenken hattest, wie fühlst du dich jetzt?” Er rückt mit seinem Stuhl näher zu mir.
Emma war da. Ich kann mich an Emma
erinnern.
Ich weiß noch, wie ich sie immer angeschnallt habe, wenn Mama auf der alten Landstraße zu schnell fuhr.
“Es gab sie wirklich”, flüstere ich.
Ich kann verfilztes Haar zwischen meinen Fingern spüren … wenn ich durch mein eigenes Haar fahre.
Nein.
Emma war da.
Emma
hatte Vogelnester im Haar. Nicht ich.
“Ihr ging es immer schlechter und nicht besser, wie sie behauptet haben”, sagt Mama durch eine Rauchwolke hindurch. “Der Schuldirektor rief an und sagte, dass sie tagein tagaus verprügelt würde, weil sie mit sich selbst sprach. Sie schickten einen Arzt.” Mama wendet sich an den Sheriff. Nicht an mich. “Mir war es so oder so egal, aber der Arzt sagte, es würde ihr irgendwann schon wieder besser gehen. ’Lassen Sie ihr ihren Willen’, sagte er. Als ob ich ein Zirkusclown wäre, der sie unterhalten muss, tagein, tagaus. Ich kann Ihnen sagen, das hat mich fertig gemacht. Dass ich immer beide zum Essen rufen musste. Ich habe mich absolut zum Depp gemacht, das habe ich.”
Ihre Stimme bricht, und meine Gedanken kehren wieder in das Zimmer zurück. Mama wird gleich weinen, das weiß ich jetzt schon.
“Was sollen wir jetzt machen? Hm?” Sie richtet die zitternde Zigarette auf mich. “Hast du mal daran gedacht, bevor du geschossen hast? Wie sollen wir jetzt was zu essen auf den Tisch bekommen? Wird sich
Emma
vielleicht um uns kümmern?”
“Bitte, Mrs. Parker.”
Eine Tür öffnet und schließt sich wieder.
14. KAPITEL
“W ie viel wollen Sie für diese Schüssel, Ma’am?” fragt das Mädchen.
“Zwei Dollar fünfundzwanzig”, sagt Mama. “Das gehörte meinem Daddy in Rutherfordton.”
Das Mädchen zählt das Kleingeld ab und reicht es ihr. Mama steckt es in die Zigarettenkiste, in der Daddy früher das Stück Teppich aufbewahrte, das ich sorgfältig in meine Tasche gepackt habe. Damit es bei der Haushaltsauflösung nicht verloren geht. Mama hofft, genug Geld zu bekommen, damit wir weit fort von hier können.
“Und die Vase?” fragt ein Mann.
“Ein Dollar fünfzig.” Mama streckt ihm erwartungsvoll die geöffnete Hand hin. “Danke, Sir.” Sie lächelt fast.
Aber ich nicht. Kein bisschen. Ich finde die Vorstellung nicht gut, dass unser Hab und Gut weiß der Himmel wohin geschleppt wird.
“He!” rufe ich ihr über den Tisch zu, auf dem alles, was zum Verkauf steht, ausgebreitet liegt. “Das können wir nicht verkaufen. Das gehört mir!”
Mama schaut herüber. “Wenn ich meine Sachen verkaufen muss, dann du deine auch. Leg das wieder hin.”
Ich kann nicht. Das Briefmarkenalbum gehört mir.
“Kann ich mal sehen?” fragt ein kleines Mädchen an der Hand seiner Mutter.
“Ich glaub ja.” Dann senke ich die Stimme, damit Mama mich nicht hören kann. “Ist aber nicht zu verkaufen.”
Sie lässt die Hand ihrer Mutter los und nimmt das Album hoch. Ihre Augen werden ganz groß, als sie die Seiten durchblättert. “Oh”, sagt sie. “Mama, schau mal!”
“Was ist das?”
“Das ist ein Album mit Briefmarken aus der ganzen Welt”, erkläre ich ganz stolz. “Sehen Sie? Die hier ist aus Schweden.” Ich deute auf die Seite, die sie aufgeschlagen hat. “Und das ist meine Lieblingsmarke – die Bermudas.” Beide beugen sich darüber.
“Wie viel wollen Sie dafür?” wendet sich die Frau an Mama, die zu uns gekommen ist. Mama hat einen Riecher für Geld.
“Einen Dollar”, antwortet sie, bevor ich noch widersprechen kann.
“Mama”, schreie ich sie an. “Das gehört mir!”
Doch zu meinem Entsetzen greift die Frau in die Tasche ihres Rockes.
Ich versuche, das Album an mich zu reißen, aber das kleine Mädchen hat mehr Kraft, als ich gedacht hätte. Zudem hält mich Mama an der Schulter fest.
“Es ist meins”, sage ich zu der kleinen Verräterin, die genau wusste, dass es nicht zu verkaufen ist und über meinen Kopf hinweg mit den Erwachsenen einen Pakt geschlossen hat. “Gib’s wieder her.”
“Bitte schön.” Die Frau reicht Mama einen zerknitterten Dollarschein.
“Mama, bitte!” Ich weine. “Bitte, lass es mich behalten.”
“Still!” Sie deutet auf ein
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