Ich & Emma
Fliege etwas zu Leide tun. Doch dann höre ich glasklar seine Worte:
Zu meiner Zeit hat ein Mann für seine Taten zahlen müssen.
Das hat er selbst gesagt.
Vielleicht fand er, dass Richard sterben müsse. Und außerdem trug er dieses im Mondlicht aufblitzende Gewehr.
“Wer ist mit einem Gewehr ins Haus gekommen, Caroline?” fragt der Sheriff erneut. Andererseits bin ich mir im Augenblick nicht einmal sicher, ob ich wirklich Caroline heiße – ich bin so müde, und meine Schläfen pochen.
“Mr. Wilson.”
“Was?” Er kommt meinem Gesicht noch näher. “Ich hab dich nicht verstanden, Liebes. Was hast du gesagt?”
Ich schaue ihm direkt in die Augen. Tut mir Leid, Mr. Wilson.
“Mr. Wilson.”
“Nun, ich finde es nicht lustig, wenn du Spielchen mit mir spielst, Caroline. Aber ich weiß, dass du in den letzten Stunden viel durchgemacht hast, also will ich darüber hinwegsehen. Sag uns, Liebes, wer mit dem Gewehr ins Haus gekommen ist.”
“Ich sage doch, Mr. Wilson. Ich habe ihn gesehen …”
Der Sheriff betrachtet seine Hände, schüttelt den Kopf, ich weiß nicht, was er denkt.
“Ich erzähle nur, was ich gesehen habe …” beginne ich, doch er unterbricht mich.
“Liebes, deine Mama und ich müssen wissen, was hier im Haus passiert ist.”
“Mr. Wilson …”
“Drum Wilson ist mein Freund.” Er streckt mir seinen Finger ins Gesicht. “Und ich weiß zufällig genau, dass er nicht mal in der Nähe war, als geschossen wurde, so viel ist sicher …”
“Aber …”
“Nichts aber. Er war mit mir und dem halben Ort bei Sonny Zebulons Geburtstagfeier.” Der Sheriff dreht sich zu Mama um. “Sonny Zebulon ist der älteste Mann hier im Ort, gestern hatte er seinen fünfundneunzigsten Geburtstag. Der Mann kann noch immer Musik machen wie ein ganz Junger … Wie auch immer, Drum Wilson war dabei, spielte Gitarre. Wilson machte sogar eine ganz schöne Welle, indem er die Mandoline mitbrachte, auf der sein Vater schon gespielt hat und …”
Während er weiter über die Party erzählt, presse ich die Augen zusammen, versuche mich an Mr. Wilson zu erinnern, der seine Verandatreppe hinaufgeht, er hat etwas in der Hand …
“Das Ding ist mehr wert als wir alle zusammen …” sagt der Sheriff.
… hat etwas in der Hand.
“Sie ist sehr schön, mit Muschelintarsien, glänzend poliert …”
Etwas Aufblitzendes! Seine Mandoline! Der Mond hat sie nur eine Sekunde lang aufblitzen lassen, aber jetzt weiß ich, dass es das Instrument war. Es war doch kein Gewehr. Ich
wusste
doch, dass er keiner Fliege was zuleide tun kann. Ich
wusste
es.
“Wie auch immer”, der Sheriff schaut mich wieder an. “Deswegen weiß ich, dass Drum Wilson niemals der Täter gewesen sein kann. Wer war es also, Kleines?”
“Mama, wo ist Emma?”
Und dann sehe ich etwas. Etwas, das sich fast wie ein Traum anfühlt.
“Geh …weg. Sofort.”
Ich erinnere mich, dass ich antwortete: “Ich lass dich nicht allein, Mama.”
Ich erinnere mich, wie Richard brüllend aus der Küche kam. Ich kann sogar noch hören, wie er lallte.
Aber dann fällt mir etwas ein, das ich bis jetzt vergessen hatte.
Als ich versuchte, aus der Tür zu schlüpfen, hielt er mich an meiner Bluse fest!
“Du Stück
Scheiße"
, sagte er. Und fuhr dann fort, zu brüllen. Das wusste ich vorhin gar nicht mehr.
“Lass mich los!” Ich wand mich unter seinem Griff.
“Du hast diese Preise da doch gesehen”, sagt er, als ob ich wissen müsste, wovon er sprach. “Die
wollen
doch geradezu beklaut werden, wenn du mich fragst!”
Ich sehe, wie ich ihm in die Hand beiße.
“Was zur Hölle …?”
“Wo ist Emma?” Ich erinnere mich, dass ich herumwirbelte und ihn anstarrte. Ich erkannte meine eigene Stimme nicht. Ich kreischte.
Richard nahm gerade wieder einen Schluck, seine Lippen um den Flaschenhals zogen sich nach oben. Er antwortete mir nicht.
“Wo ist sie?” Ich schob mich an ihm vorbei in die Küche.
“Brauchst nicht zu suchen”, rief er mir aus dem Wohnzimmer nach. Er saß in dem alten Stuhl, der einzige, der in diesem Chaos noch aufrecht stand, die Beine übereinander geschlagen. “Sie ist nicht hier.”
“Wo ist sie?” Ich kam durch die Schwingtür zurück, die die Küche vom Wohnzimmer trennte. “Hm?”
“Sag nicht ’hm’ zu mir.” Er spreizte den Zeigefinger von der Flasche ab und deutete auf mich.
“Sag mir, wo Emma ist.”
“Soll ich dir ein kleines Geheimnis verraten?” fragte er ganz ruhig, als würde er gerade ein
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