Ich & Emma
gegen meine Füße, viel mehr Steine als sonst. Gerade als ich mich nach einem Sturz aufrichte, knirschen Schritte auf dem Kies vor seinem Haus. Ja. Er ist es, gut. Das erkenne ich an seinem Humpeln. Gerade will ich nach ihm rufen, als das Mondlicht auf etwas fällt, das er in der Hand hält. Ein Gewehr?
Oh. Mein. Gott.
Die Äste zerbrechen unter meinen Schuhen, nur mein lautes Atmen ist zu hören in diesem Wald. Der Mond wirft sein Licht auf mich. Das Gebüsch und die jungen Bäume, die mir bei Tageslicht nie aufgefallen sind, bremsen mein Tempo, aber nicht sehr. Es ist mir egal, ob ich zerkratzt werde oder nicht.
Das Haus der Bicketts ist von der Dunkelheit verschluckt, man kann kaum erkennen, wo die Stufen aufhören, aber ich schaffe es trotzdem und hämmere gegen die Haustür.
13. KAPITEL
“C aroline? Caroline, sieh mich an.” Mamas geschwollene Lippen bewegen sich, aber ihre Wort scheinen nicht aus ihrem Mund zu kommen. Sie hält sich ein mit Eiswürfeln gefülltes Handtuch an die Stirn. Das ganze Blut ist jetzt weggewaschen.
“Caroline?”
“Sie ist müde”, höre ich eine andere Stimme über mir, die eines Mannes. “Lassen Sie sie schlafen.”
“Caroline, Caroline, kannst du mich hören? Woran denkst du?”
Diese Pappel war geradezu dafür
gemacht
, hinaufzuklettern. Dicke, knorrige Äste breiteten sich aus wie eine Treppe, ein Ast über dem anderen, man konnte fast bis ganz oben klettern.
“Kannst du es sehen? Kannst du das Haus von hier aus sehen?” rief Emma von unten herauf.
“Noch nicht. Ich muss noch etwas höher.”
“Mach schnell, ich bin nur zwei Äste unter dir.” Es ärgerte sie, dass ich so lange brauchte. Ich hätte sie vorgehen lassen sollen, sie klettert viel schneller als ich. Aber ich bin die Ältere.
“Jetzt kann ich es sehen.” Das konnte ich wirklich. Der Baum war höher als die anderen Bäume rund um die Hamilton-Farm, nichts blockierte meine Sicht. “Los! Komm hoch.”
“Okay, okay”, rief sie noch immer verärgert, aber atemlos. “Du hättest mich zuerst hochklettern lassen sollen. Wahnsinn, du hast Recht. Man kann es von hier aus sehen.”
“Hab ich’s nicht gesagt?”
Die Hamilton-Farm war ein gutes Stück von unserem Haus entfernt, dem Haus mit den abgesplitterten Fensterläden in der Murray Mill Road. Aber wenn man so hoch oben ist wie ein Vogel, dann ist das egal, von so weit oben kann man alles überblicken.
Das Problem ist nur, dass man auch nach unten sehen kann und feststellt, wie weit man wieder herunterklettern muss. Ich versuchte, nicht nach unten zu schauen, aber das war unmöglich. Manchmal macht es Spaß, sich selbst Angst einzujagen, und genau das tat ich wahrscheinlich.
“Wie sollen wir denn hier je wieder lebend runterkommen?”
“Wen interessiert das schon? Sieh mal! Da sind die Godseys!”
Ich kam nicht auf die Idee, herauszufinden, was es auf der anderen Seite des Baumstamms zu sehen gab, den ich umklammerte, als ob mein Leben davon abhinge. Was es ja auch tat.
“Am liebsten würde ich für immer hier bleiben.”
“Caroline, antworte.” Mamas müde Stimme wird lauter, dabei ist sie nur eine Armlänge von mir entfernt. “Hörst du? Antworte.”
“Was?”
“Hören Sie sich dieses ’was’ an, als ob wir nicht seit Stunden auf sie einreden würden”, sagt Mama zu einem unsichtbaren Mann hinter mir.
“Na, na, Mrs. Parker, jetzt mal ganz langsam”, sagt die Stimme. Ich habe nicht die Kraft, mich umzudrehen und herauszufinden, zu wem diese Stimme gehört – ich bin so müde – aber ich kenne sie. “Das war ein langer Tag. Für jeden von uns.”
“Ich weiß. Und ich bin so ruhig, wie ich nur kann. Caroline?” Ihre Stimme klingt unnatürlich sanft. “Sag deiner Mama, was passiert ist, ja? Sag’s deiner Mama.”
Ich betrachte ihre rissigen Lippen, die sich im Takt der Worte bewegen.
“Mrs. Parker, überlassen Sie uns das mal”, sagt die Stimme. “Sie müssen doch auch müde sein. Warum holen Sie sich nicht einen Kaffee, während wir uns mit Caroline unterhalten.”
“Es ist mein Mann, der umgebracht wurde, und es ist mein Kind, mit dem ich sprechen will. Also, Caroline Parker, du wirst jetzt mit mir reden, verstehst du? Sprich mit mir. Erzähl es mir.”
Ich möchte meine Arme nach ihr ausstrecken. Ich möchte, dass sie mich auf ihren Schoß zieht und mir sagt, dass wir jetzt nach Hause gehen, dass alles nur ein böser Traum war. Ich möchte …
“Caroline, wenn du uns etwas sagen möchtest, wenn du
Weitere Kostenlose Bücher