Sieben in einem Auto
Liebe Geraldine!
Es geht los! Wir fahren wieder einmal in die Ferien. Alle sieben! Genau wie letztes Jahr. Diesmal nach Tirol. Wegen der gesunden Luft!! Ich weiß jetzt schon, wie es laufen wird: rauf auf die Berge, in die Ferne glotzen, ah! und oh! stammeln und wieder runterlatschen. Und das jeden Tag, drei Wochen lang! Und dabei soll der Mensch bei Laune bleiben!
Ich sage Dir, wenn ich könnte, wie ich wollte, würde ich meinen Drahtesel satteln und auf eigene Faust durch die Gegend juckeln. Mit ein paar Freunden natürlich, ist ja klar. Horst würde ich mitnehmen und Rene, Kai nicht, der ist mir zu blöd. Eine klasse Fahrt würde das werden, und dabei könnte so allerlei passieren. (Du weißt schon, was ich meine!) Aber das sind ja alles nur süße Träume! Ich muß ja das brave Kind spielen und mit den reizenden Geschwistern in die Berge reisen. Du glaubst nicht, wie mich das anödet!! Geschwister sind ja wohl so ziemlich das Letzte, was man sich für die Ferien wünscht! Aber was soll’s? Ändern kann ich’s nicht. Noch nicht! Also, Schicksal, nimm deinen Lauf!
Du müßtest erleben, Geraldine, was hier bei uns los ist! Mama hockt im Schlafzimmer, hat hundert Koffer um sich herumgestapelt und packt: kurze Socken, lange Socken, dicke Socken, dünne Socken, kurze Unterhosen, lange Unterhosen, dicke Unterhosen, dünne Unterhosen, kurze Nachthemden, lange Nachthemden, dicke Nachthemden, dünne Nachthemden und so weiter, die ganze Tonleiter rauf und runter. Und das alles mal sieben! Verzeihung, mal sechs! Denn meine Sachen hab ich natürlich selber in den Koffer gestopft. Aber für Sascha, für Christine, für Jan, für den kleinen Stefan, für sich selbst und für den Herrn des Hauses, den ungekrönten König. Und was macht der inzwischen? Er vergnügt sich mit seinem Auto, macht es reisefertig, wie er sagt! Wenn Du ihn sehen könntest, würde Dir vor Lachen das Gebiß aus dem Gesicht fallen. Er hat sich angezogen wie ein Kanalarbeiter, trägt dicke Arbeitshandschuhe sowie seine noch aus der Steinzeit stammende Sonnenbrille, liegt auf dem Rücken unter dem Auto und tut, als könnte er den Auspuff vom Kühler unterscheiden. Ich durchschaue ihn, mein Adlerblick läßt sich nicht täuschen. Lieber an dem dummen Auto herumfummeln, als Mama beim Kofferpacken helfen, sagt er sich bestimmt. Was man verstehen kann! Denn wenn Mama Koffer packt, ist sie immer geladen bis zum Stehkragen und explodiert mindestens dreimal in der Minute. Ist ja, ehrlich gesagt, auch kein Vergnügen, für so eine Großfamilie Klamotten zusammenzusuchen, die für drei Wochen reichen und jedem Wetter trotzen sollen. Wenn ich das tun müßte, würde ich auch ganz schön auf die Palme klettern und fauchen. Nee, nee, du, da wüßte ich angenehmere Beschäftigungen! Und darum werde ich mir später auch nicht fünf Kinder anschaffen. Meine reizende Geschwisterschar steht mir als abschreckendes Beispiel vor Augen. Man will ja schließlich was haben vom Leben und nicht von früh bis spät für seine Nachkommenschaft schuften! Aber das nur nebenbei, als kleinen Blick in die Zukunft, möchte ich mal sagen. Jetzt liegt was anderes an: unsere Urlaubsreise.
Natürlich freue ich mich auch. Es kann vielleicht ganz schön sein, wenn man so auf einer Alm sitzt, dem fröhlichen Geläut der Kuhglocken lauscht, Blumen pflückt oder einfach so auf dem Rücken liegt, in den Himmel schaut und vor sich hin träumt. Vorausgesetzt, daß die Herren Brüder nicht in der Nähe sind! Die können einem ja wirklich die Stimmung verderben. Ich hab mir übrigens vorgenommen, mich öfter von ihnen abzusondern. Mit dreizehn oder, genauer gesagt, fast vierzehn hat man keinen Nerv mehr für ihre kindischen Albernheiten. Immer nur mit irgendwelchen Steinen nach irgendwelchen Bäumen oder Kuhfladen werfen, einem vom Balkon aus auf den Kopf spucken und dergleichen! Aus dem Alter bin ich raus. Gott sei Dank! Mich beschäftigt anderes. Aber das kann man Brüdern wohl nicht klarmachen. Man muß es halt durchstehen und auf bessere Zeiten hoffen. Ob sie jemals kommen werden? Lassen wir uns überraschen!!
So, jetzt muß ich schnellstens verschwinden, denn ich hab das unangenehme Gefühl, daß gleich jemand nach mir rufen wird. Also, mach’s gut bis zum nächstenmal!
Deine Conny
Sie legte den Kugelschreiber aus der Hand und stand auf. Leise wollte sie am Schlafzimmer vorbei nach unten schleichen, aber da die Tür offenstand, wurde sie von ihrer Mutter entdeckt.
„Nett, daß
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