Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)
im Internet auf meinen Gefängnisaufenthalt in den USA hinzuweisen.
Meine Freunde wussten alle, was geschehen war, und freuten sich einfach, dass ich wieder da war. In meinem weiteren sozialen Umfeld hingegen habe ich die unterschiedlichsten Reaktionen erlebt. Manche Leute haben überhaupt nicht gemerkt, dass ich über zwei Jahre lang weg war. Einige haben angerufen und mich gefragt, was mit mir passiert ist. Andere Bekannte und Berufskollegen haben das bis heute nicht getan. Manche denken vielleicht: «Es wird schon irgendwas dran gewesen sein.» Möglicherweise löst auch die Mitteilung, dass man inhaftiert war, eine ähnliche Scheu und Hilflosigkeit aus wie die Nachricht von einer schweren Krankheit. Ich habe schnell gelernt, dass die Mitteilung «Ich war im Gefängnis» schlimm genug ist. Noch schlimmer ist nur, wenn man erklärt: «Ich war unschuldig im Gefängnis.» Denn dann gilt man auch noch als uneinsichtig.
Dafür sind einige der Menschen, die ich in amerikanischen Gefängnissen kennengelernt habe, zu Freunden geworden und Freunde geblieben: zum Beispiel Harry de Loos, der erst sechs Wochen nach mir aus den USA in die Niederlande überstellt wurde. Er war trotzdem schneller wieder in Freiheit als ich. Am 21. Februar 2008 konnte er direkt vom Flughafen nach Hause fahren. Seither haben wir uns viele Male wiedergesehen.
Manchmal werde ich gefragt, wie ich diese Zeit selbst verarbeitet habe. Aus heutiger Sicht sage ich: Ich habe diese unglaubliche Reise gut überstanden. Gemessen an dem, was ich in den Gefängnissen der USA gesehen und erlebt habe, ist mir eigentlich gar nichts passiert. Man erleidet kein Trauma, weil das Essen schlecht, die Räume dreckig, die Betten unbequem und die Nächte laut sind. Solche Verhältnisse sind einfach nur unangenehm und zermürbend, und man vergisst sie am besten so schnell wie möglich. Viel schlimmer ist es zu erleben, dass alle Werte und Normen, an denen man sich ein Leben lang orientiert hat, plötzlich nicht mehr gelten und wegzubrechen drohen. Viel schwerer ist es zu ertragen, wenn die Konsequenzen des eigenen Verhaltens nicht mehr absehbar sind.
Ich war in einem System (buchstäblich) gefangen, dessen Gesetze ich weder kannte noch richtig verstand. Warum gibt es in den USA den Satz «Im Zweifel für den Angeklagten (in dubio pro reo)» nicht, der bei uns Verfassungsrang genießt? Warum wird im Revisionsverfahren (appeal) nach dem Grundsatz «Im Zweifel gegen den Angeklagten» (in the most favorable light for the government oder in dubio contra reum) verfahren? Warum wird ein Festgenommener in Handschellen und Ketten gelegt, ganz gleich, ob es sich um einen Rotlichtsünder oder einen auf frischer Tat ertappten Schwerverbrecher handelt? Warum halten Regierung und weite Teile der Justiz – entgegen verbalen Beteuerungen – es für legitim, Menschen zu foltern? Weil es unter bestimmten Voraussetzungen auch als legitim gilt, Menschen mit der Todesspritze umzubringen?
Für meine Selbstwahrnehmung und Selbstachtung, für die Unterscheidung von richtig und falsch, war es in dieser Lage am allerwichtigsten, im ständigen Kontakt und Austausch mit den Menschen zu bleiben, mit denen ich bis dahin meine Lebenswelt und Weltanschauung geteilt hatte. Dass es diese Welt da draußen noch gab, in der andere, rechtsstaatliche und die Würde des Menschen achtende Regeln gelten, machte mir Hoffnung, irgendwann dorthin zurückkehren zu können. Und es gab mir die Kraft, in meiner eigenen Haltung zu dem, was mit mir passierte, klar zu bleiben. Wo eine solche Klarheit und dieser Kontakt verlorengehen, drohen Selbstverlust und der Absturz in die Depression. Manche nehmen sich in der Haft das Leben, andere tun es nur deshalb nicht, weil man sie gewaltsam daran hindert.
Und so begann ich allmählich auch die Logik zu verstehen, die hinter dem US-amerikanischen Strafvollzugssystem steht. Ich war einer von mehr als zwei Millionen Gefangenen, an denen viele verschiedene Unternehmen jeden Tag verdienen: als Objekt, das bewacht werden muss, als Empfänger von Dienstleistungen, als Nutzer überteuerter Telefontarife, als Passagier von Con Air , als Patient auf der infirmary, als Kunde in der commissary und als potenzielle billige Arbeitskraft für die Rüstungsindustrie. Der gefängnisindustrielle Komplex konnte kein Interesse daran haben, uns in die Freiheit zu entlassen, denn Gefangene sind der einzige Rohstoff, mit dem er seinen Profit steigern kann.
Dies alles, jedenfalls in groben
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