Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)
aber nach der Definition des Strafgesetzbuches ein Verbrechen begangen; vor einer Entlassung auf Bewährung muss eine Sozialprognose erstellt werden. Auf einer sorgfältigen Ausführung dieser Vorschrift beharrte nun die Staatsanwältin, und ich saß einmal mehr hinter Gittern.
Damit war das Stück aus dem Tollhaus aber noch nicht zu Ende. Denn erst bei meinem Termin vor der Strafkammer war aufgefallen, dass dem Hamburger Gericht das amerikanische Urteil nicht vollständig vorlag. Dieses reichten meine Anwälte nun umgehend nach. Und was las Richter Brüninghaus darin? Er erfuhr, dass sein amerikanischer Kollege mir ausdrücklich bescheinigte, es habe «no steps toward violence» – keine Schritte in Richtung Gewalt – gegeben. Dass kein Eigentum den Besitzer gewechselt hatte – «no property changed hands». Und dass ich durchaus der Meinung sein konnte, dass ich einen rechtmäßigen Anspruch gegen Carl F. hatte: «Moreover, the defendants had an argument that they thought they were collecting a legitimate debt based upon legitimate legal claims.» Diese Auffassung war durch das Hamburger Oberlandesgericht später ja noch einmal bestätigt und damit objektiviert worden. Außerdem hatte mein Richter William Dimitrouleas in der Begründung meines Strafmaßes ausdrücklich festgehalten, er wäre «nicht überrascht» gewesen, wenn die Jury mich freigesprochen hätte.
Damit war für Brüninghaus klar: Ich hatte mich selbstverständlich keiner räuberischen Erpressung schuldig gemacht. Ich hatte überhaupt nichts getan, was nach deutschem Recht strafbar war. Eigentlich hätte er mich sofort in die USA zurückschicken müssen, denn für den treaty transfer fehlte die Rechtsgrundlage. Doch das ging nicht: Deutsche Staatsbürger werden aus Rechtsgründen von Deutschland nicht ausgeliefert. Die Alternative konnte nur heißen: Ich war sofort auf freien Fuß zu setzen. Und genau das verfügte Brüninghaus am Montag, dem 14. Januar 2008. Am selben Tag wurde ich in die Strafanstalt Fuhlsbüttel verlegt. In meinen Unterlagen befand sich der richterliche Beschluss, dass ich sofort freizulassen sei. Allerdings hatte die Staatsanwaltschaft eine Woche Zeit, Rechtsmittel einzulegen, und so lange blieb ich inhaftiert.
Wäre der Begriff von den «furchtbaren Juristen» nicht so eindeutig besetzt, er wäre wirklich angebracht für die Entscheidungsträger, die jetzt dafür sorgten, dass ich auch eine Woche später nicht freikam. Die Staatsanwältin Dr. Just versicherte sich erst der Rückendeckung durch ihren Oberstaatsanwalt, bevor sie gegen den Beschluss von Richter Brüninghaus Beschwerde einlegte. Ohne eine Sozialprognose könne ich nicht entlassen werden. Punkt. Das Problem dabei: Solange die Entscheidung über ihre Beschwerde beim Oberlandesgericht anhängig war, konnte auch diese Begutachtung nicht beginnen.
Ich saß also in der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel und verlor Zeit, wenn auch unter angenehmeren Bedingungen als im Untersuchungsgefängnis. Schon die Tatsache, dass ich nach wenigen Tagen hierher verlegt worden war, stellte ein Privileg dar; andere Strafgefangene sitzen oft monatelang am Holstenglacis. Die Vollzugsbeamten in Fuhlsbüttel behandelten mich freundlich und respektvoll, ich hatte alles, was ich zum täglichen Leben brauchte, und konnte von hier aus über jeden weiteren Schritt in meinem Verfahren mitdiskutieren. Meine Anwälte sah ich in Fuhlsbüttel fast jeden Tag.
Am 8. Februar 2009, einen Monat nach meiner Rückkehr nach Hamburg, verkündete dann das Oberlandesgericht seine Entscheidung: Ich hatte in Haft zu bleiben, bis ein Gutachten über mich vorliege. Was dabei herauskommen würde, teilte das Gericht allerdings auch schon mit: Man erwarte eine «eindeutig günstige Sozialprognose». Wozu dann noch eine Begutachtung? Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, ob ich eigentlich verrückt war oder das System, das hier über mich entschied.
Was jetzt kam, war nur noch ein Wettlauf mit der Zeit. Ich wurde zweimal in die Sprechstunde eines mir wohlbekannten Hamburger Gerichtsgutachters in die Untersuchungshaftanstalt gefahren, damit er sich einen Eindruck von meiner Gefährlichkeit verschaffen konnte. Ich ersparte ihm und mir irgendwelche juristischen Erörterungen. Der Psychiater wirkte sehr zufrieden mit mir.
Gleichzeitig arbeiteten meine Anwälte und ich fieberhaft an einer Verfassungsbeschwerde: Meine Inhaftierung in Deutschland war ein Verstoß gegen das Grundgesetz, und deshalb sollte das
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