Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)
Bundesverfassungsgericht diese Entscheidung aufheben und im Eilverfahren meine Entlassung verfügen.
Am Vormittag des 7. März 2008 saß ich in meiner Zelle in Fuhlsbüttel und schrieb die letzten Sätze der umfangreichen Begründung. Am selben Vormittag erstattete mein Gutachter gegenüber der Großen Strafkammer 5 einen mündlichen Bericht über mich, und jetzt entschied sogar die Hamburger Staatsanwaltschaft: Ich war unverzüglich freizulassen.
Gegen 14 Uhr desselben Tages wurden die Türen der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel für mich geöffnet. Meine vier Kinder waren gerade noch rechtzeitig informiert worden, um mich dort vollzählig versammelt in Empfang zu nehmen.
Es war ein Freitag. Abends probte, wie immer, meine Band Friday Night . Natürlich war ich dabei. Und natürlich spielten wir meinen «Blues in C», ein Stück, das jeder aus dieser Truppe schon lange kannte. Es hatte nun einen neuen Titel bekommen: «Back Home».
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«Wenn jemand ins Gefängnis geht, wird seine gesamte Familie verhaftet», sagt die texanische Unternehmerin Karen Lucchesi Lewis, die wegen des – in ihrem Fall zweifelhaften – Vorwurfs money laundering fünf Jahre in Haft gesessen hat: «Niemand kann sich in dieser Zeit noch frei bewegen.» Heute würde ich ergänzen: Vieles von dem, was einem Menschen und seinen Angehörigen durch eine Inhaftierung widerfährt, versteht man erst nach und nach, wenn man wieder in Freiheit ist.
Meine größte Sorge galt während meiner gesamten Haftzeit meinen Kindern. Würden sie es schaffen, ihren eigenen Weg weiterzugehen? Sie waren in einer sensiblen Lebensphase, in der sich junge Menschen vor allem um ihre eigene Zukunft und nicht um ihre Eltern kümmern sollten. Zwei Jahre lang mussten sie gleichsam die Luft anhalten, waren sie in ihren Gedanken, Gefühlen und Plänen ständig mit meiner Situation verbunden. Niemals kehrte während dieser Zeitspanne wirklich Ruhe ein, nie war klar und absehbar, wie lange ich mich wo aufhalten würde und wann die nächste Verlegung wieder alles durcheinanderbringen würde.
In meinem Fall fiel vor allem meinen Töchtern, Jan Jütting und den Mitarbeitern meiner Kanzlei auch noch die Aufgabe zu, unser aller Existenzgrundlage vor der Vernichtung zu bewahren. Die finanziellen Mittel, aber auch Daten, Fakten und Stellungnahmen zu meiner Verteidigung mussten aufgetrieben werden. Das alles ist ihnen in einem gewaltigen Kraftakt gelungen. Und so hatte ich ein Glück, das nicht vielen entlassenen Strafgefangenen zuteilwird: Auf mich wartete eine berufliche und private Existenz, in die ich zurückkehren konnte und auch zurückgekehrt bin. Am Montag nach meiner Entlassung saß ich wieder an meinem vertrauten Arbeitsplatz in meiner Kanzlei. Am 1. Januar 2009 wurde aus dem Rechtsanwaltsbüro Berkau die Anwaltssozietät Berkau – Jütting, zu der außer mir Jan H. Jütting und meine Tochter Lisa Lou Berkau als Anwälte gehören.
Für mich hat sich viel verändert. Das Allerwichtigste ist eine tiefe Wertschätzung für die Erfüllung ganz alltäglicher Bedürfnisse: für die Nähe der Menschen, die ich liebe und als Freunde schätze, für ein gutes Essen, für die Freiheit, an dem Ort zu sein, an dem ich sein möchte. Viel zu viel hatte ich vorher als selbstverständlich hingenommen oder betrachtet.
Dennoch konnte ich nicht alles, was ich mir im Gefängnis vorgenommen hatte, ohne weiteres umsetzen. Der Alltag war schnell wieder da und stellte seine eigenen Forderungen. Vor allem aber hatte ich alle Hände voll damit zu tun, die finanziellen Folgen meiner Haftzeit zu bewältigen, die Folgen von zwei Jahren Verdienstausfall, von immensen Anwalts- und Verfahrenskosten. Um vieles hatten sich meine Töchter und Jan Jütting bereits gekümmert, während ich noch in Haft saß. Ich war froh darüber, dass ich die Dinge wieder selbst in die Hand nehmen konnte.
Es gibt vermutlich nur wenige Phasen im Leben, in denen man mit einer solchen Klarheit feststellen kann, wer ein wirklicher Freund oder ein verlässlicher (Geschäfts-)Partner ist – und wen man nicht dazu zählen kann. Ich habe eine überwältigende Unterstützung durch meine Familie, meine Freunde, Berufskollegen und Geschäftspartner erfahren, aber auch in einigen wenigen Fällen das Gegenteil – sei es die Kündigung der Kreditlinien durch die Hamburger Sparkasse, sei es die Häme von Schmierenjournalisten oder Anwaltskollegen, die es sich nicht versagen konnten, in laufenden Rechtsstreitigkeiten oder
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