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Ich gestehe

Ich gestehe

Titel: Ich gestehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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spezialisieren?« fragte er. »Vielleicht Kinderärztin?«
    »Nein. Ich dachte an Anästhesie.«
    »Das ist ein schweres Brot, schöne Kollegin. Und dazu müssen Sie noch zwei Jahre mehr studieren.«
    »Das will ich auch. Es gibt so wenig gute Anästhesie-Fachkräfte.« Ich schaute zu ihm auf und schauderte wieder vor seinen Augen zusammen. »Sie sind Chirurg?«
    »Ja.« Er musterte mich verblüfft. »Woran sehen Sie das?«
    »An Ihren Händen. Sie sind zartgliedrig, aber doch kräftig. Eigentlich aber ist es mehr eine Vermutung gewesen.«
    Dr. Ralbais nickte und sah seine Hände an. Er streckte sie weit vor und ließ die Finger auf und ab spielen, als spiele er auf einer unsichtbaren Klaviertastatur. »Es stimmt«, sagte er langsam. »Es soll vorkommen, daß jemand sich in Hände verlieben kann.«
    »Sie sind in Ihre Hände verliebt?« fragte ich verblüfft.
    Dr. Ralbais schüttelte den Kopf. »Ich würde es jetzt, seit einer Stunde vielleicht, bestreiten. Bestimmt würde ich es bestreiten! Jetzt liebe ich plötzlich etwas anderes.«
    Ich wagte nicht zu fragen, was dieses ›etwas anderes‹ sein könnte. Ich wußte es, und weil ich es wußte, schwieg ich und fieberte der weiteren Entwicklung der Dinge entgegen, wie etwa ein Atomforscher, der 30.000.000 Elektronenvolt in seinem Oszilloskop sieht und weiß, daß jeden Augenblick sein Labor in die Luft fliegen kann, und der trotzdem wie gebannt auf die pendelnden Zeiger starrt und wartet … wartet … gefangen von der Ungeheuerlichkeit des Wissens.
    Aber so war eben Gaston Ralbais. Ich erkannte es später und war immer wieder von neuem fasziniert von diesem schroffen Wechsel einer fast pathologischen Liebe. Er konnte etwa zu mir kommen, in das Zimmer stürzend, mit glücklichen, fast kindlichen Augen, aufgeregt und enthusiasmiert, und mir eine blitzende Zange zeigen. »Eine neue Rippenschere!« rief er dann. »Kind, mit ihr kann man sechs Sekunden schneller eine Rippe resektieren! Sechs Sekunden! Daran kann das Leben von Hunderttausenden hängen! Ein wundervolles Ding! Ich liebe es!« Und er tat es. Er liebte diese Rippenschere und trug sie mit sich herum wie ein Kleinod.
    Oder ein anderes Mal: Er saß in seinem Zimmer in der Klinik und las in einem Buch. »Ein Amerikaner hat entdeckt, wie man eine Koronar-Thrombose auf chirurgischem Wege abwendet! Es ist die Entdeckung des Jahrhunderts! Gisèle, dieses Buch ist zum Verlieben!« Und er trennte sich nicht von dem Buch, bis er etwas anderes entdeckte, was eine neue Liebe voll in Anspruch nahm. Aber immer war es etwas Außergewöhnliches, dem er seine Zuneigung schenkte, etwas Ausgefallenes, Einmaliges.
    Damals, auf der Bank im Jardin du Luxembourg, wußte ich das alles noch nicht. Als er sagte, er liebe etwas anderes, da glaubte ich, ich sei der glücklichste Mensch der Welt und wartete darauf, daß er mich umfing und küßte. Und hätte er mich an diesem frühen Morgen in ein Stundenhotel geführt, ich wäre ihm gefolgt, ohne Zögern, ohne Hemmungen, ohne Reue. Vielleicht, weil es seine Augen waren, die mich ergriffen, seine Hände, sein herrischer Mund, seine große, schlanke Gestalt, sein ganzes Wesen …
    Aber er tat es nicht. Er zog die Hände wieder an sich und beugte sich ein wenig vor.
    »Gleich vier Uhr«, sagte er. »Ganz in der Nähe macht jetzt Monsieur Blondel seine Kneipe auf. Die Milchfahrer trinken dann bei ihm eine Bouillon oder einen heißen Pinard. Auch einen guten Kaffee braut er zusammen. Wir sollten zu ihm gehen.« Er sah mich an. »Einverstanden? Es ist gleich in der Rue Chervaise, neben der Rue d'Assas.«
    »Wie Sie meinen«, sagte ich steif, denn ich war plötzlich enttäuscht von diesem Mann, der so männlich war und sich dann so – wie soll ich sagen – altmodisch benahm, als seien wir Menschen aus einer Welt, die man nur noch in den Filmen Sascha Guitrys sieht.
    Wir erhoben uns, er nahm wieder meinen Arm, und wir gingen aus dem Park hinaus auf die fahl im ersten Morgenlicht liegenden Straßen, durch die die Frühaufsteher schlichen, noch müde, unausgeschlafen, halb an das Bett denkend. An der Ecke der Rue de Vaugirard stand ein Mädchen, grell geschminkt, und verhandelte mit einem Betrunkenen. Der letzte späte Kunde vor dem Morgenrot, die letzten 100 oder 200 Francs. Der Preis richtete sich nach der Ausstattung des Zimmers und den speziellen Wünschen des Kunden.
    Dr. Ralbais sah meinen Blick auf das geschminkte Mädchen und zog mich weiter. »Auch morgens quieken die Ratten«, sagte er

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