Ich gestehe
mich, da sah ich ihn anders, den großen, schönen Gaston. Er war ein Mann wie alle anderen, vielleicht ein wenig eleganter, gepflegter, weltgewandter, sicherer. Aber im Grunde genommen doch nur ein Mann, der feige war und in dem Augenblick, in dem er sagte: »Ich gehe«, auch ein Mann, der es nicht wagte, mich anzusehen.
Warum sollte er mich auch ansehen? Ich war an diesem Abend eine Erinnerung geworden. Ich für ihn, er für mich. Er fuhr über den Atlantik nach New Orleans. Ich blieb zurück in Europa, im alten, verträumten, verliebten Paris. Und Schuld? Bekannte er sich schuldig? War nicht auch ich Teilhaberin eines Schicksals, das ich selbst herausgefordert hatte, als ich Gaston der kleinen Brigit vorstellte?
Brigit wird nun mit Gaston nach New Orleans fahren. Vielleicht heiraten sie drüben in Amerika. Vielleicht aber auch nicht, und Brigit wird seine Geliebte bleiben, wie ich sie einmal war.
Brigit … meine Schwester …
Die Sonne brennt noch immer. Das Meer ist blau wie flüssiges Kobalt. Unter mir, auf der breiten Straße, flutet der Verkehr dahin. Blitzende Wagen, schöne Frauen, elegante Männer. Der Ober bringt mir eine neue Orangeade. Ich nickte dankend und sah dabei, wie mich ein Herr drei Tische weiter beobachtet. In seinem Blick lag eine fast tierische Bewunderung, ein Abtasten und gedankliches Nehmen, eine platonische Sexualität, die, wäre sie ein Ton, grell über Juan les Pins gellen würde. Er wird gleich aufstehen und versuchen, sich mir zu nähern. Ich sehe an seinen Blicken, wie es ihn treibt, wie die Natur in ihm ihn vorwärtstreiben wird, um zu versuchen, mich zu besitzen. Ach, wenn er wüßte, warum ich hier sitze und auf den Strand blicke, allein, verlassen, mit jener Wehmut, die manche Männer anspornt, den selbstlosen Tröster bis hinter der Tür des Schlafzimmers zu spielen.
Männer! Wie sagte doch der englische Dichter Oscar Wilde: »Die launischste Geliebte ist – der Mann!«
Von der Terrasse des Hotels ›Pacific‹ klingt die Teemusik über den Strand. Die Leute tanzen unter den aufgespannten Sonnensegeln wie auf dem Deck eines Schiffes.
Was wird Gaston jetzt machen? Wird er packen? Wird er, wie ich, in einem Café sitzen und auf den Strand blicken? Oder wird er Brigit in den Armen halten, die zarte, kleine Brigit mit den Mandelaugen und den schlanken, langen Schenkeln, über die jetzt vielleicht die Hand Gastons mit zitternder Liebkosung gleitet?
Ich stehe auf. Ich kann das nicht mehr ertragen! Die Sonne, die Menschen, die Tanzmusik, die geilen Augen des Mannes drei Tische weiter an der Balustrade.
Ich gehe.
Aber ich muß noch etwas sagen, bevor ich gehe. Ich habe gelogen, vorhin, als ich sagte, daß ich eigentlich froh, sehr froh wäre, daß alles so gekommen ist. Es ist nicht wahr, es ist eine plumpe Lüge. Ich bin sehr traurig, so traurig, wie es alle Mädchen in meiner Lage sind. Ich bin ja nicht anders als sie – ich habe auch geliebt, ich habe auch in seinen Armen gelegen, ich kann ihn nicht vergessen, auch wenn ich es wollte. Und ich werde Gaston vermissen – ich gestehe es ein –, ich werde mich an seine Liebe zurücksehnen und hungrig sein nach seinen Liebkosungen.
Und an diesem Hunger werde ich eingehen, weil niemand kommen wird, der ihn stillen kann; so stillen, wie es Gaston konnte … bis gestern …
Es ist wirklich schwer, gleichgültig zu sein, wenn man einen Mann verloren hat.
Es war in der Nacht zum vierten August, als ich Gaston kennenlernte.
Wir hatten eine kleine Feier veranstaltet, wir frisch gebackenen Doktoren der Medizin. »Kinder, wir werden die Diplome begießen!« hatte der immer fröhliche Pierre Laroche gerufen. Er hatte gerade zum Dr. med. promoviert und trug sich mit der Absicht, sich in Nîmes, wo sein Vater Anwalt war, als Gynäkologe niederzulassen. »Ein guter ›Damenschneider‹ ist immer begehrt!« sagte er in seiner oft frivolen Art. »Vielleicht kann ich mir mal eine Millionärstochter vom Untersuchungsstuhl angeln! Es wird dann später heißen: Ihre erste Bekanntschaft war ein Gummihandschuh!« Und er lachte dröhnend, während ihm Fioret, der kleine Südfranzose und Ohrenspezialist, auf die Schulter schlug.
»Saufen wir darauf einen!« schrie er mit seiner hellen Stimme. »Gisèle macht doch mit?«
»Aber ja«, sagte ich fröhlich. »Ich kann euch doch nicht ohne frauliche Aufsicht unter die Menschen lassen!«
So waren wir ausgegangen. Pierre, Fioret, Jaque, Vince, Aldai, ein Amerikaner, Jean und ich. Wir waren eine
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