Ich gestehe
…«
Und Gaston ging.
Es war das letzte Mal, daß ich ihn sah. Aber dieses Wiedersehen, das gleichzeitig ein Abschied für immer war, riß mich empor. Ich verließ das Bett, ich verließ trotz des Widerstandes von Dr. Frèsnes die Klinik und mietete mir in Juan les Pins ein Zimmer in einer Strandpension. Es war, als habe die brutale Erkenntnis, daß wirklich alles unwiederbringlich war, daß das Leben weiterging und sich nicht an Ressentiments klammern durfte, mich wie nach einem Schock geheilt. Ich fühlte mich frei, ich fühlte mich stark und gesund und verließ das Sanatorium nach meiner Meinung als ein freier Mensch, der wieder selbst die Verantwortung für alles übernehmen kann, was weiterhin geschehen würde.
Wie sagte ich doch zu Anfang: Während ich diese Zeilen schreibe, müßte ich eigentlich traurig sein. Aber im Inneren bin ich froh, daß alles so gekommen ist und Gaston gegangen ist. Ja, das habe ich geschrieben!
Soll ich mein neues Leben gleich mit einer neuen Lüge beginnen?
Ich bin wirklich traurig, aber nicht – das sei ehrlich gesagt –, weil Gaston gegangen ist, sondern weil ich unfähig war, richtig zu lieben und mich im Körperlichen verlor, wo es hieß, mit der Seele zu lieben. Diese Seele hatte ich nicht – ich erkannte sie gar nicht – und darum bin ich letztlich selbst schuld an dem, was mir heute Schmerzen verursacht.
Vom blauen Meer herüber weht der milde Wind. Er schmeckt salzig, wenn man mit der Zunge über die Lippen fährt. Im ›Café Riborette‹ spielt noch immer die Tanzkapelle. Der Staub auf den Zypressen, Pinien und Maulbeerbäumen entlang der breiten Uferstraße hat sich noch vermehrt. Die eleganten Wagen der abendlichen Bummler wirbelten ihn auf.
Gleich wird die Sonne im Meer versinken. Sie ist schon ein feuerroter Ball, der wie eine reife Orange über dem Blaugold des Meeres hängt. Die Felsen sind violett, in den Gärten der Hotels gehen die Lampen an, die Lampions, die Kandelaber, die Neonröhren. Gegenüber, in einer Pension, steht ein Fenster offen. Das Zimmer ist hell erleuchtet. Ein Mann sitzt vor dem Spiegel, ein junger, schwarzlockiger Mann und bindet sich über dem weißen Hemd die schwarze Schleife seines Smokings. Jetzt geht eine Tür, eine schöne Frau erscheint im Zimmer, in einem Kleid aus rosa Tüll, mit langen schwarzen Samtbändern verziert. Sie umarmt den Mann von hinten, sie biegt seinen Kopf zurück und küßt ihn hingebungsvoll. Er lacht dabei, und sie umarmen sich und küssen sich noch einmal. Sie sind so glücklich …
Warum machen sie nicht das Fenster zu? Warum löschen sie nicht das Licht? Warum muß ich das ansehen, dieses Glück zweier Liebender? Es tut ja so weh, so unendlich weh … oh, wenn sie doch das Fenster schließen würden!
Ich erhebe mich. »Garçon!« rufe ich. »Zahlen!«
Ich lege einen 50-Francs-Schein auf den Tisch und verlasse das Café. Das Fenster ist noch immer erleuchtet – ob sie sich noch küssen …?
Das Meer ist dunkel, die Sonne ist versunken, die Felsen sind schwarz. Über den Gärten steht ein Flimmern von bunten Lichtern. In den Uferpalmen rauscht der Nachtwind. Er zerzaust meine Haare, spielt mit meinen heißen Wangen und erfaßt meinen zitternden Körper.
Wird das Glück auch wieder zu mir kommen? Werde ich einmal wieder lachen können?
Aus der Pension kommt das junge Paar, das ich in dem erleuchteten Fenster beobachtet hatte. Er hat sie untergefaßt, sie schwebt wie eine Wolke aus Tüll an seiner Seite. Sie lächeln sich an, so glücklich, so ganz du in du, sie kommen an mir vorbei und sehen nicht meine dunkle Gestalt gegen das dunkle Meer.
»Darling …« sagt sie zärtlich.
Sie hat eine hohe, fast kindliche Stimme. Er küßt ihre Schulter.
Unter den Palmen verschwinden sie. Durch die Nacht klingt die Musik aus den Hotels.
Ich gehe einsam am Meer entlang und sehe den Wellen zu, wie sie sich an den Klippen brechen. Ein wenig fröstelt es mich, aber ich gehe weiter in die Dunkelheit hinein.
Morgen wird die Sonne wieder scheinen. Morgen wird ein neuer Tag leuchten. Morgen wird mein anderes Leben beginnen!
Heute aber laßt mich noch einmal einsam sein, laßt mich in der Stille Rückschau halten auf eine kurze Spanne meines Lebens, die bald zu einem großen, schrecklichen Schicksal geworden wäre.
Ich will unter alles einen Strich ziehen. Ich will vergessen. Ich will neu anfangen mit dem Leben, mit der Liebe und mit einem neuen Vergessen in den Armen eines Mannes, den das Schicksal mir früher
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