Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!
nun uns; weil wir wenig Zeit haben, pflegen wir ihn mit minimalem Aufwand. Man könnte sagen: Wir machen nur das Allernötigste. Das Allernötigste ist zu wenig aus der Perspektive derer, die diesen Garten jahrelang mit ihrem Herzblut gedüngt haben, das verstehe ich.
Unsere netten Vermieter haben uns gegenüber noch nie ein Wort fallen lassen wegen des nur notdürftig gepflegten Gartens. Stattdessen kommen sie vorbei, wenn sie in der Stadt sind, und gießen hier ein bisschen und schneiden da ein wenig, sie stutzen dort ein paar Äste und rupfen woanders etwas Unkraut. Dass sie das tun, kann nur heißen, dass wir in ihren Augen zu wenig gießen, schneiden, stutzen und rupfen. Sie können nichts dafür, aber ich fühle mich sofort ganz elend, wenn ich sie beim Gießen, Schneiden, Stutzen oder Rupfen antreffe. Ich fühle mich wie ein Kind, dessen Verhalten den Eltern missfällt; ihrem Missfallen geben die Eltern nicht laut, sondern schweigend Ausdruck, indem sie wortlos die Versäumnisse ihres Kindes zu beheben versuchen. Ihr Tun ist ein Vorwurf. Ihre Wortlosigkeit ist ein Vorwurf. Ihre Anwesenheit ist ein Vorwurf: »Kind, wie sieht’s denn hier aus? Das kann man ja kaum mit ansehen. Schon gut, lass mich mal machen. Wenn man sich nicht um alles selber kümmert.«
Ich fühle mich ungerne wie ein Kind, denn ich bin keines mehr. Ich bin vierzig, es macht mich aggressiv, wenn andere Menschen mir das Gefühl geben, ein Kind zu sein. Ich weiß, es ist unfair, denn unsere netten Vermieter sind die nettesten Vermieter, die wir jemals hatten. Trotzdem möchte ich unseren Kletterrose schneidenden Vermieter sofort anschreien, als ich ihn vom Auto aus sehe.
Ich möchte schreien: »Herrgott noch mal, ich bin nicht vor über zwanzig Jahren aus meinem Jugendzimmer ausgezogen, auf der Flucht vor den kritisch hochgezogenen Augenbrauen meiner Eltern, nur um in den Armen überbehütender Vermieter zu landen!« Natürlich schreie ich nicht.
Ich sage: »Hallo, guten Tag, wie geht es Ihnen?«
Ich gehe ins Haus und verschanze mich in der Wohnung. Den Garten werde ich nicht betreten, solange der Vermieter sich dort zu schaffen macht. Ich luge aus dem Küchenfenster, er klaubt abgefallene Rosenblätter vom Gartenweg auf, ich denke: Wenn diese verdammte Kletterrose nicht gemietet, sondern mein Eigentum wäre, dann könnte ich sie nach Lust und Laune überwässern, vertrocknen, verlausen, von Rosenrost und Sternrußtau zersetzen lassen, ich könnte außerdem den Keller zumüllen, die Fenster zwei Jahre lang nicht putzen und Graffitis auf die Hauswand sprühen, ohne deshalb irgendwem gegenüber ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Nie wieder Mieter sein, das wäre das Paradies!
Man kann, wenn man zur Miete wohnt und nicht gerade der Vermieter bei einem im Garten herumsteht und einen wahnsinnig macht, über Jahre ganz gut verdrängen, dass man Mieter ist. Die Stunde der Wahrheit kommt, wenn man umzieht, am Tag der Wohnungsübergabe. Ich habe, seit ich nicht mehr bei meinen Eltern lebe, vier verschiedene Wohnungsübergaben machen müssen; sämtliche Wohnungen gehörten Privateigentümern. Zwei dieser Wohnungsübergaben waren der Startschuss für zwei jeweils mehrere Monate währende Albträume: Beide Exvermieter behielten unsere Mietkaution ein und forderten Tausende Euro Schadensersatz für irgendwelche angeblich von uns verursachten Sachschäden.
Die eine Exvermieterin forderte unter anderem, dass wir einen neuen Fußboden in der Wohnung verlegen. Der alte Holzboden war bei unserem Einzug zum Teil mit Zementestrich übergossen, zum Teil farbig lackiert gewesen. In wochenlanger Knochenarbeit hatten wir eigenhändig den Estrich von den Holzböden geklopft und die Dielen abgeschliffen. Wir waren keine Fachleute, deshalb sah der von uns abgeschliffene und versiegelte Holzfußboden an der einen oder anderen Stelle nicht perfekt aus; immerhin aber hatten wir ihn freigelegt. »Nicht fachmännisch!«, befand die Exvermieterin und wollte auf unsere Kosten in der ganzen Wohnung neues Laminat verlegen lassen. Laminat statt alter Holzdielen: Nicht einmal Geschmack hatte die.
Die anderen Exvermieter – jene, die uns wegen Eigenbedarf kündigten – behaupteten unter anderem, wir hätten das Bad ruiniert. Im Bad war die Tapete über der Badewanne feucht, die Fliesen schimmelten. Die Vermieter hatten aus ästhetischen Gründen keinen Fliesenspiegel über der Wanne angebracht, die Tapete reichte bis zum Badewannenrand. Die Fliesen, italienischer
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