Ich habe die Unschuld kotzen sehen
Sich notfalls für die Sache opfern, das war schon immer seine Angelegenheit.
Zerstörung des Materials stand für ihn bei seiner Aktion im Vordergrund. Ich freute mich für ihn. Genoss seine Nähe weiterhin. Die Revolution in seinem Kopf war so schön warm und menschlich. Und ich trank und er trank und wir ertranken in unseren Gedanken.
Aus seiner Musikanlage schrie alter Punkrock un vergessene Parolen. Wir schreien auch. Ich bin fru striert, er kampfbereit.
Aber ich unterstütze ihn mit meiner Frustration. Für diesen einen guten Freund. Wir liegen übereinander. Kugeln uns über den Bo den. Kotzen auf seinen Teppich. Saufen weiter.
Zele brieren unsere Freundschaft.
Die Parolen aus der Vergangenheit haben wir zu sammen entdeckt. Damals, in unserer gemeinsamen Jugend. Er lebt sie, ich schaue ihm zu. Manchmal wäre ich gern wie er. Aber ich bin ein Arschloch und rette Leben.
Es brennt immer noch. Sie ziehen fast nur noch Leichen ins Freie. Menschen mit in die Haut einge brannten Anzügen und ohne Augen. Trotzdem schrei en sie.
Klar schreien sie.
Ihnen zerlegt ihr Gift ihre Atemwege und ihre Lungen implodieren. Viele spuck en Blut. Das ist der neue Bürgerkrieg. Die Rache der eigentlich Verlorenen.
Das macht Hoffnung.
Wir arbeiten nicht mehr, wir reagieren nur noch. Mullbinden sind alle. Morphium auch. Scheiße.
Die, die noch leben, begreifen schmerzvoll das Sterben.
Zwei Feuerwehrleute legen mir einen Verbrannten auf einer Bahre vor die Füße. Er müsste eigentlich Schmerzen haben, seine Bauchdecke ist aufgerissen. Seine Därme bewegen sich bei jedem flachen Atem zug. Im selben Rhythmus tritt Blut aus dieser Wunde aus.
Aber er lächelt.
Selbstzufrieden.
Ich erkenne, dass er es ist.
Er ist nicht rausgekommen. Er erkennt mich nicht.
Als ich bemerke, dass er es ist, beginne ich zu kämpfen, mit allen Mitteln, die ich noch zur Verfügung habe. Ich kämpfe um ihn, um seine Vitalzeichen. Beatme ihn. Lasse sein Herz zucken. Er soll zurückkommen.
Bitte komm zurück, du Arsch, die Welt braucht dich. Komm wieder. Geh nicht. Ich verzweifele über meine Handlungen, ihn in die Welt der Sterblichen zurückzuholen. Mache erneute Versuche. Sinnlos. Er ist gegangen.
Die Zeit steht stiller als still. Unglaublich.
Ich begleite seine letzten Atemzüge unter unterdrückten Tränen. Erst als er nicht mehr atmet, breche ich vollends in Tränen aus. Alles würgt sich durch alle Öffnungen meines Körpers. Tränen machen mich blind und mein eigenes Leidgeschrei taub.
Die Unmöglichkeit dieses Vorkommnisses und die reale Präsentation vor meinen Füßen erlauben mir keinen Atemzug. Ganz trocken die Trauer und ganz wild und bunt die Gedanken. Ich schreie.
Ich kotze. Erinnerungen. Tränen. Ich kotze Erinner ungen und Tränen. Einen großen Haufen bunter Gedanken.
Das Werk ist vollbracht, der Märtyrer verbrannt. Ein Abschiedskuss dem Verbrannten.
Bruderkuss.
Mit aller Liebe. Ich umarme seinen blutüberström ten Körper. Sein Aktionismus war ein voller Erfolg.
Er verschwindet und meine Gedanken lösen sich auf.
Gesten & Geräusche sensibilisieren
(... ein Musikfilm, kein Videoclip ...)
Seitdem ich keine Arbeit mehr habe, treffen wir uns wieder häufiger zum Musizieren. Arbeitslosigkeit macht ganz schön kreativ und unser Sound kristallisiert sich langsam heraus. Anfänglich spacige und stark drogenbeeinflusste Sessions haben sich zu Songs entwickelt, die mir und meiner Frauenband aus unseren Herzen und Seelen schreien.
Es ist keine typische Rockmusik, sondern eine Mischung aus vielen Elementen unzähliger Stilrichtungen. Mit viel Energie und Groove, rund und melodiös. Auf der anderen Seite aber ein disharmonisches Soundgebilde voller Kaputtheit und unausgelebter Sehnsucht und niemals enden wollender Leidenschaft.
Franziska am Bass, Eva am Keyboard, Luisa singt und spielt Gitarre und ich sitze am Schlagzeug und aromatisiere unsere geile Musik mit Rhythmusar beit. Diese geniale Zusammenkunft trägt den Namen Gestures & Sounds .
Die Arbeitslosigkeit kam irgendwie ganz schön plötzlich. Irgendein durchgeknallter Weltverbesser ungsterroristenfreak hat den Laden, in dem ich als Chemielaborantin arbeitete, in die Luft gejagt. Mit allerhand Sprengstoff in Einzeltäterschaft.
Meinen Respekt hat der Mann, der dabei ums Leben kam und so in der lokalen linksextremen Szene zum Helden avancierte. War ‘ne krasse Aktion und
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