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Ich habe die Unschuld kotzen sehen

Titel: Ich habe die Unschuld kotzen sehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Bernemann
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Bierbecher flogen auf die Bühne, Pfiffe und Beschimpfungen hinterher. Wir hätten auf Luisa hören sollen, diese Meute ist keine kulturellen Höchstleistungen gewohnt. Dies Publikum ist megascheiße. Dann ...  
    ... hörte ich einen Schuss. Wurde von der Bühne abgefeuert. Aus der Knarre von Eva. In die niedrige Decke des Jugendclubs, wo ich Bausubstanz sich lösen sah.  
    Es kehrte augenblicklich Stille ein.
    Lachen verstummte. Wurde abgelöst von ängstlichem Fußscharren einiger Gäste über den Kunst stoffboden des Clubs. Ich hatte gar nicht mitbekom men, wie sich Luisa von der Bühne entfernt hatte und Richtung Eingangstür geschlichen war. Hatte diese abgeschlossen und den Schlüssel eingesteckt.  
    Irgendwo untergebracht in ihrer engen Hose. Schlich nun wieder auf die Bühne und griff sich in diese Hose. Holte was raus, ebenfalls ‘ne Schusswaffe, ziemlich großes Kaliber.
    Einige Leute fingen an zu quiekten beim Anblick der beiden bewaffneten Mädels auf der Bühne. Die Angst in diesem Raum war deutlich zu spüren.
    Luisa steuerte ihre eleganten Bewegungen Richtung Frontmikro: «Cool, dass ihr so zahlreich erschienen seid. Dies ist das allererste Konzert von Gestures and Sounds . Ein experimentelles Konzert einer experimentellen Rockband. Dies ist eine kulturelle Geiselnahme. Diesen Saal wird niemand der hier anwesenden Schönlinge verlassen, bevor nicht das Konzert dieser Band eure scheiß Köpfe erobert und besiegt hat.»  
    « Scheiß Köpfe», hauchte sie erotisch, wie nie zuvor gehört. Sie blickt um sich. Eva zielt mit ihrer Knarre wahllos in die Menge. Das Publikum ist in Panik. Die meisten irgendwie in geduckter Haltung. Viele drängen Richtung Tür. Die ist aber zu und bleibt es vorerst auch.  
    Franzi sitzt mit ihrer Bassgitarre behangen auf dem Bühnenboden und hat sich ‘ne Zigarette angesteckt. Ich bücke mich immer noch hinter meinen Becken und Hängetrommeln, von wo aus ich irgendwie das Gefühl habe, bei ner Fernsehliveübertragung zuzusehen. Ist nur alles sehr real.
    Zu real. Besonders die Angst der Leute.
    Und der Wahnsinn von Eva und Luisa. Luisa richtet die Knarre auf mich und haucht: «Intro.»  
    Meine Drumsticks sind schon dunkelbraun angelaufen vom Schweiß meiner Hände. Ich versuche, Luisa mit meinem Blick zu besänftigen. Scheint aber irgendwie nicht hinzuhau‘n, denn sie schaut schnell wieder weg. Versuche, Diplomatie in meinen Blick zu legen, aber die anderen drei, die dieser Blick streift, bleiben davon unbeeindruckt. Franzi spielt das Bassriff von My Love is a Nazi-War , jetzt ein wenig sauberer.  
    Luisa lässt ihre Gitarre liegen und beginnt nur zu singen. Sie schaut sich zu mir um und das sehe ich als sehr ernst gemeinte Aufforderung, mit dem Schlagzeugspiel zu beginnen. Ich steige mit dem nächsten Takt ein und spiele wie von Sinnen bzw. so, wie es der Song und dessen Komponistin verlangen.  
    Luisas Stimme klingt diabolisch.
    Sie wirkt wie eine Außerirdische, wie sie da so an ihrem Mikrofonstativ hängt und irgendwo singt wie Madonna, nur viel psychotischer.  
    Ab und an lässt die Eva noch ein paar Samples oder Soundeffekte vom Keyboard laufen, während sie das Interesse der vor der Bühne be findlichen Masse Mensch mit ihrer Waffe an sich bindet.  
    Niemand sagt ein Wort zu dieser doch recht alternativen Version unseres Eröffnungs liedes. Das Lied dauert circa zwei Minuten. Als es zu Ende ist, schweigen die Leute. Das macht Luisa und Eva wütend.  
    «Nicht gut genug?», fragt Eva, lädt ihre Schusswaffe durch und richtet sie unkontrolliert und zitternd auf die Leute vor der Bühne. Schreie dröhnen durch den kleinen Saal. Eva drückt ab und trifft einen Typen in ‘ner Jeansjacke ins Knie. Der bricht jaulend zusammen und durch die Leute, die daneben stehen, geht ein ängstliches Ge murmel und Geheule. Der Typ am Boden hält sich jammernd sein kaputtes, blutendes Knie.  
    Niemand hilft ihm.
    «Applaus, ihr Wichser, ist wichtig für Künstler, quasi unser Brot. Ohne Brot verhungern wir tragisch», sind Luisas wiederum sehr erotisch gehauchten Worte. Dann ertönt ein wenig Beifall, der sich schnell verstärkt und richtig laut wird. Luisa lächelt Eva an, die beiden lächeln Franziska an und plötzlich lächeln alle drei mich an.
     
    Ich schwitze wie Sau, hab aber irgendwie die unbändige Lust zu rocken. Schlage meine Sticks übereinander, zähle 1 – 2 – 3 – 4 und schon befinden wir uns im nächsten Song: Fuck Luck . Wieder dieselbe Szenerie, wie in

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