Sohn des Meeres
Der blonde, schlanke Mann, der den Laden betrat, wirkte nervös. Joe kannte diesen Ausdruck. Der Kerl hatte was vor, ganz eindeutig. Er sah sich in dem Laden um, ging durch die zwei schmalen Gänge und betrachtete das Angebot an Tauchsportartikeln. Joe schielte zur Seite, dann griff er vorsichtig und wie beiläufig unter die Theke. Seine Waffe lag dort. Griffbereit.
Er zog sie nach vorn, sodass er sie im Ernstfall leicht erreichen konnte. Er sah wieder auf und sein Blick traf den des blonden Mannes, der ihn misstrauisch musterte. Er war stehengeblieben.
„Kann ich helfen?“, fragte Joe. Der Mann nickte.
„Vielleicht.“
„Was suchen Sie?“
„Ich brauche zwei Sauerstoffflaschen. Gefüllt.“
Joe entspannte sich etwas.
„Kann ich besorgen. Brauchen Sie die Flaschen heute noch?“
„Ich hole sie morgen ab, wenn es recht ist“, sagte der Blonde.
„Klar. Kommen Sie vormittags vorbei.“ Joe nahm sich einen Zettel und notierte sich die Bestellung. „Wie ist Ihr Name?“
„Stevens.“
„Mr. Stevens ... okay.“ Joe legte den Zettel beiseite.
„Einen schönen Tag noch“, sagte der Mann, dann verließ er das Tauchsportgeschäft.
Im Schatten der Bäume lief der blonde Mann die Straße entlang. Er schritt kräftig aus, schien sein Ziel genau zu kennen. Er passierte einige Seitenstraßen und Zufahrten und bog dann in einen schattigen Hinterhof ein. Er verharrte an der Ecke und stellte sich so hin, dass er in beiden Richtungen jeden Ankömmling ausmachen konnte. Ein sirrender Laut ließ ihn zusammenzucken. Er fuhr herum und sah die Gestalt, die sich aus dem Schatten eines Hauseingangs löste.
„Hey. Hast du das Geld?“, fragte er den Mann, der langsam auf ihn zukam.
„Ich hab’s.“
„Gut. Gib es mir.“
„Vince ... das ist doch verrückt. Du solltest das lassen. Es wird leben oder eben nicht. Das ist die Natur.“
„Sag das nie wieder!“ Er holte Luft und musste sich beherrschen, seinen Bruder nicht zu packen und gegen die Wand zu schleudern. „Das ist nicht die Natur und das weißt du! Du hast keinen Schimmer, was du da redest, du ...“ Er ballte die Fäuste. „Ich werde es retten. Und du hilfst mir oder eben nicht. Was ist nur mit dir los?“
„Vincent.“ Sein Bruder trat auf ihn zu und hielt ihn an den Schultern fest. „Hör auf. Du hast einen Fehler gemacht und es wird schrecklich sein, wenn du es verlierst. Aber in ein paar Jahren wirst du sehen, dass es vielleicht besser so war. Glaub mir.“
Vincent schlug die Hände beiseite.
„Gib mir das Geld und dann lass mich in Ruhe.“
„Wie du willst. Ich bin dagegen. Nur, dass dir das klar ist. Was passieren wird, passiert eben.“
„Weißt du, wo wir heute wären, wenn wir so gedacht hätten?“, fragte Vincent. „Leb wohl, Marc. Wir sehen uns jetzt eine Weile nicht.“ Er nahm das Geldbündel aus der Hand seines Bruders und wandte sich zum Gehen.
Er drehte sich nicht mehr um, fühlte aber körperlich, wie Marc ihm nachstarrte.
Joe warf den Zettel mit der Bestellung in den Papierkorb. Sein Kunde war nicht erschienen, was er sich fast gedacht hatte. Der Typ war nicht ganz auf der Reihe. Aber Kundenservice wurde bei Joe großgeschrieben. So hatte er seinen Laden hochgezogen und ein paar Nieten gehörten dazu. Der April war außerdem nicht gerade der Monat mit dem größten Umsatz, da wollte er niemanden vergraulen.
Die Ladentür öffnete sich und Joe hob den Kopf. Es war der Blonde. Stevens. Sofort setzte Joe sein Verkäuferlächeln auf. Nicht zu viel und nicht zu wenig. Freundlich, aber ohne Vorwurf wegen der Verspätung. Stevens bewegte sich geschmeidig durch die Regalreihen auf die Kasse zu und Joe fragte sich, ob der Mann neben Tauchen noch Kampfsport oder Tanz trainierte. Seine Körperhaltung ließ darauf schließen und er war bestimmt unter dreißig.
„Sie möchten die Flaschen abholen“, sagte Joe mit einem Hauch Selbstverständlichkeit.
„So ist es. Ich habe mich etwas verspätet“, antwortete Stevens.
„Gar kein Problem. Bei so vielen Terminen, die wir alle heutzutage haben“, erwiderte Joe. Er kassierte, der Mann zahlte bar, was Joe sehr entgegen kam. Dann hob er seine Ware hoch und trug sie aus dem Laden.
Vincent schleppte die Sauerstoffflaschen über die Straße und schlug dann den Weg zum Strand ein. Er wollte keine Zeit mehr verlieren, auch wenn es noch ein paar Tage dauern würde, bis er sie brauchte.
Bei so vielen Terminen, die wir alle heutzutage haben ...
Oh ja,
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