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Geständnis unterm Mistelzweig

Geständnis unterm Mistelzweig

Titel: Geständnis unterm Mistelzweig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emilie Richards
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1. KAPITEL
    A ls Chloe Palmer, die Leiterin der “Letzten Zuflucht”, das Haus für eine Besorgung verließ, stand ein ungeschmückter künstlicher Weihnachtsbaum traurig und schief hinter dem großen Fenster des Wohnzimmers. Er war schon vor Jahren alt und müde gewesen, als ihn jemand aus dem Müll eines Nachbarn rettete.
    Als Chloe zurückkam, ragte an seiner Stelle eine üppige Blautanne auf, was Passanten zu der Frage veranlasste, wo das Heim wohl einen so ungewöhnlich schönen Baum erstanden haben könnte.
    Chloe konnte diese Frage nicht beantworten. Aber sie wusste genau, wen sie fragen musste. Sie hastete die vom Schnee freigeschaufelten Stufen hinauf, schlug die schwere Tür des alten Hauses hinter sich zu und rief: “Egan!”
    Ein Mann erschien an der Tür des Wohnzimmers. Jemand hatte in dem Zimmer Kerzen angezündet, dutzende von Kerzen, wenn Chloe sich nicht täuschte -- und das in einem Haus, von dessen Bewohnerinnen mindestens eine aus der letzten Pflegestelle hinausgeworfen worden war, weil sie ihre Matratze in Brand gesteckt hatte.
    “Hast du den Kindern einen Baum gekauft?” fragte Chloe.
    “Ich nicht.”
    Sie zog die Stiefel aus. In diesem Haus bestand die strikte Regel, dass niemand Schnee oder Schmutz von draußen hereintragen durfte. Dann legte Chloe die Handschuhe und den Schal ab. Als sie ihr langes schwarzes Haar über die Schultern zurückwarf, kam Egan näher, um ihr aus dem Mantel zu helfen. Aber sie wehrte ihn ab.
    “So, du hast ihn nicht gekauft. Hast du dann jemandem so lange den Arm verdreht, bis er den Baum gestiftet hat?” Chloe sah, wie Egan zu lächeln begann. Er hatte einen wunderhübschen Mund, groß und ausdrucksvoll und lächelte meistens. Wie immer erschien er Chloe sehr anziehend.
    “Hast du ihn gestohlen oder selbst irgendwo geschlagen? Und woher kommt dieser Kranz?”
    “Ach, Chloe, komm doch herein und sieh dir an, was wir machen.” Egan drehte sich um. Chloe folgte ihm auf Socken.
    Das Wohnzimmer bot einen Anblick wie auf einer Weihnachtskarte. Der Weihnachtsmann und seine Elfen verbreiteten Weihnachtsstimmung. Nur war der Weihnachtsmann nicht dick, und er trug keinen Bart. Er war groß, breitschultrig und bewegte sich geschmeidig. Auf dem Kopf hatte er kurze goldene Locken statt einer roten Mütze. Auch seine Elfen boten nicht den traditionellen Anblick.
    Die Elfe Mona sang ein Weihnachtslied. Normalerweise hielt sich jedermann die Ohren zu, wenn Mona sang. Aber an diesem Tag schien das niemanden zu stören.
    Die Elfe Jenny stand auf Zehenspitzen und versuchte, einen Vogel aus Papier an den Zweig über ihr zu hängen. Alles war immer zu hoch für Jenny. Acht Jahre Unterernährung hatten ihr Wachstum gehemmt, bis sie unter die Obhut des Staates Pennsylvania kam.
    Die Elfe Roxanne saß mit gekreuzten Beinen auf dem Fußboden und starrte in das Kerzenlicht, als sei sie hypnotisiert. Die Elfe Bunny hielt einen Schokoladenweihnachtsmann hier und dort an den Baum. Wie immer bemühte sie sich um äußerste Perfektion.
    Die Elfen waren vier der zwölf Mädchen, die im Alma-Benjamin-Haus lebten. Sie gehörten zu einer langen Kette von Kindern, die das Heim “Letzte Zuflucht” getauft hatten. Der Name war sehr treffend, denn wenn ein Kind hierher kam, gab es -- außer der Verwahranstalt mit Gitterstäben vor den Fenstern -- keinen anderen Ort, an dem es hätte unterkommen können.
    “Chloe!” Bunny lief zu ihr. “Ich weiß nicht, wohin ich dies hängen soll.” Sie hielt den Schokoladenweihnachtsmann mit zitternden Händen hoch.
    “Das ist doch egal. Wo immer du ihn aufhängst, wird er gut aussehen.”
    Bunny schien nicht überzeugt.
    “Versuch es mal”, ermutigte Chloe sie. “Du wirst es schon richtig machen.”
    Bunny kehrte zum Baum zurück, und Chloe wandte sich an Egan. “Wirst du mir nun verraten, woher du diesen Baum hast, Egan O’Brien?”
    “Er hat ihm beim Haus seiner Eltern abgeschlagen!” Mona sprang von der kleinen Trittleiter. “Seine Eltern haben eine Farm, Chloe, mit Tieren, richtigen Tieren.”
    “Es sind nur Hunde”, stellte Egan richtig. “Schäferhunde.”
    “Keine Pferde?” Mona schien enttäuscht.
    “Mona möchte reiten lernen”, erklärte Chloe. “Das stimmt doch, Mona, nicht wahr?”
    “Ich kann reiten. Ich komme nur nie dazu. Bei meiner Familie bin ich früher immer geritten.”
    Monas Eltern hatten das Kind in krimineller Weise vernachlässigt, ihr Haus war eine Bruchbude gewesen. Die ersten zehn Jahre ihres Lebens hatte

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