Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg
nach Palas de Rei
25 Kilometer wandern wir vier Messners heute durch eine raue Mittelgebirgslandschaft auf rund 600 bis 700 Meter Höhe - könnte genauso gut der Westerwald oder die hohe Eifel sein. Dass es heute mit 20 Grad kühler und zudem bewölkt und windig ist, passt zur kargen und nur durch Minidörferunterbrochenen Buschlandschaft. Auch etliche Höhenmeter sind zu erklimmen. Für die nächsten zwei Tage ist aber wieder Sonne angekündigt. In vier Tagen laufen wir in Santiago ein. Hurra! Es reicht mir dann jetzt auch - nach fast sechs Wochen.
Diese Überzeugung stößt aber nicht überall auf Verständnis. Martina aus München ist ein bisschen pikiert, als ich feststelle: „Es war toll, aber ich wüsste nicht, warum ich das nochmal machen sollte.“ Sie schwärmt von Gemeinschaftsgefühl, Internationalität, der guten Infrastruktur. Stimmt alles: Ich habe das auch sehr genossen. Ich bin aber nun den gesamten Camino Frances gelaufen, jeden Meter höchstselbst und mit meinem gesamten Gepäck auf dem Rücken. Keine Busfahrt, kein Gepäcktransport und keine Abkürzung. Das Stück durch Galicien laufe ich nun auch schon zum zweiten Mal. Alles, was ich erlebt habe - Sport, Kultur und Kulturen, Outdoor-Abenteuer, mediterranes Wetter, nette Menschen aus aller Welt und ganz viel Spaß und Fröhlichkeit - möchte ich nicht missen. Aber nochmal - warum? Ich höre auf, wenn es am schönsten ist. Ein weiterer Marsch auf dem Jakobsweg würde alles bagatellisieren, austauschbar machen und die Einzigartigkeit nehmen. Vielleicht in 30 Jahren…
Ich glaube fest an ein Leben nach dem Camino. Liegt vielleicht daran, dass ich auch schon vorher eines hatte. Das ist offensichtlich aber nicht bei allen Pilgern der Fall. Es kursieren Geschichtenüber Jakobspilger, die kurz vor Santiago wieder umdrehen und zurückwandern, weil sie noch nicht „bereit“ seien anzukommen. da läuft es mir kalt den den Rücken runter. Andere verkünden gern und immer wieder beim abendlichen Plausch die Plattitüde, dass man doch gar nicht ankommen wolle. Wirklich? Ich schon. Ich freue mich ehrlich darauf, wieder ohne Rucksack und Wanderstiefel durch die Weltgeschichte zu gehen. Und dabei werde ich den Camino vermissen.
Heute haben leider viele Touripilger und Wochenendwanderer die Stimmung auf dem Camino gestört. 20 Leute vor und hinter mir im Blickfeld - das ist irgendwie nervig. Manche der Herrschaften rasen frisch parfümiert mit weißer Bügelfaltenhose und rosa Spielzeugrucksack an den echten Pilgern vorbei. Das passt nicht zu unserer wochenlangen Mühsaal, das wirkt respektlos dem Jakobsweg gegenüber. Pilgern ist manchmal nervend .
Und seine Gestalt war wie der Blitz und sein Kleid weiß wie Schnee. Matthäus 28.3
39. Tag von Palas de Rei nach Melide
Bei dicken Wolken und immer noch kühlem Wind reichen 15 Kilometer für heute. Wir haben Zeit und genießen das, weil alles bisher glattgegangen ist. Der Weg führt erst durch schönegalicische Wälder, dann über eine raue Hügellandschaft, durch die der Wind fegt. Hier gibt es fast keine richtigen Dörfer, geschweige denn Bars. Wir sind um zwei Uhr in Melide.
Heute treffen wir zum wiederholten Male ein Schweizer Paar, das vor drei Monaten (!) von zu Hause aus losmarschiert ist. In Südfrankreich haben sie im Sommer ein paar hundert Kilometer wegen der Hitze übersprungen - ansonsten sind sie gelaufen. Aus ihrem Arbeitsleben haben sie sich eine dreimonatige Auszeit genommen. Nach so langer Zeit sind sie der gleichen Meinung wie ich: „Es ist wirklich schön, aber nun reicht´s auch.“ Kopf und Beine sind allmählich müde - von einer Million Eindrücken, Erlebnissen und Erfahrungen -und von ziemlich genau einer Million Schritten. In meinem Falle 800.000 Meter mit 80-Zentimeter-Schritten.
Meine Wanderschuhe haben seit dem Kauf vor ein paar Jahren nun mehr als 1000 Kilometer auf den Sohlen und gehen langsam aus den Nähten. Im Profil ist ein erster Hohlraum zu sehen. Oben, wo sich die Schuhe bei jedem Schritt knicken, ist eine Naht offen. Zudem sind die guten Stücke inzwischen so schmutzig, dass ich mir nach dem Schuhanziehen seit zwei Wochen immer erstmal die Hände waschen muss. Der feine Staub seit der Meseta hat sich wie Zement in jede Pore gesetzt. Und wenn ich die Schuhe unterwegs neu binde, steigen zarte Staubwölkchen von denSchnürsenkeln auf. Auch Bürsten und Abwaschen helfen nur noch bedingt weiter. Lohnt sich auch alles gar nicht mehr. Diese Schuhe bleiben ebenso hier, wie
Weitere Kostenlose Bücher