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Ich habe sie geliebt

Ich habe sie geliebt

Titel: Ich habe sie geliebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Gavalda
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trinken?«
    Ich nickte.
    »Warten wir, bis er sich ein bißchen erwärmt hat, es wäre schade drum. Willst du in der Zwischenzeit einen Bushmills?«
    »Nein, danke.«
    »Und warum nicht?«
    »Ich mag keinen Whisky.«
    »Du bedauernswertes Geschöpf! Das hat nichts miteinander zu tun! Hier, probier mal …«
    Ich führte das Glas an die Lippen, es schmeckte scheußlich. Ich hatte seit Tagen nichts gegessen, ich war sofort betrunken. Mein Messer rutschte auf den Zwiebeln aus, und mein steifer Nacken war wie weggeblasen. Ich würde mir einen Finger abschneiden. Ich fühlte mich gut.
    »Schmeckt gut, oder? Den habe ich von Patrick Frendall zum Sechzigsten bekommen. Kannst du dich an Patrick Frendall erinnern?«
    »Äh – nein.«
    »Doch, doch, du hast ihn hier schon gesehen, weißt du nicht mehr? Ein riesiger Kerl mit kräftigen Armen…«
    »War das der, der Lucie in die Luft geworfen hat, bis sie fast gespuckt hätte?«
    »Genau«, antwortete Pierre und schenkte mir nach.
    »Ja, ich erinnere mich.«
    »Ich mag ihn gern, ich denke sehr oft an ihn. Seltsam, ich halte ihn für einen meiner besten Freunde, obwohl ich ihn kaum kenne.«
    »Du hast so etwas wie beste Freunde?«
    »Warum fragst du?«
    »Einfach so. Na ja, ich habe keine Ahnung. Du hast nie etwas davon erzählt.«
    Mein Schwiegervater nahm sich die Karotten vor. Es ist immer witzig, einem Mann zuzuschauen, der zum ersten Mal in seinem Leben kocht. Diese Art, das Rezept bis aufs Komma zu befolgen, als wäre Bocuse ein Gott, den man leicht beleidigt.
    »Hier steht ›die Karotten in mittelgroße Scheiben schneiden‹, meinst du, so ist es in Ordnung?«
    »So ist es perfekt!«
    Ich lachte. Ohne Nacken wackelte mein Kopf auf den Schultern hin und her.
    »Danke. Wo war ich noch mal? Ach ja, meine Freunde… Eigentlich hatte ich drei: Patrick, den ich auf einer Romreise kennengelernt habe. Religiöse Schnapsidee meiner Gemeinde, meine erste Reise ohne Eltern. Ich war fünfzehn. Ich verstand zwar nichts von dem Kauderwelsch dieses Iren, der doppelt so groß war wie ich, aber wir haben uns sofort zusammengetan. Er, von den katholischsten Menschen der Welt erzogen, ich, gerade dem stickigen Dunstkreis meiner Familie entstiegen. Zwei junge Hunde, losgelassen auf die Ewige Stadt. Was für eine Pilgerfahrt!«
    Ihm lief noch heute ein Schauder über den Rükken.
    In einer Pfanne briet er die Zwiebeln und die Karotten zusammen mit dem gewürfelten Räucherspeck an, es roch sehr gut.
    »Und dann noch Jean Théron, den du kennst, und meinen Bruder, Paul, den du nicht mehr kennengelernt hast, weil er 56 schon gestorben ist.«
    »Für dich war dein Bruder dein bester Freund?«
    »Mehr als das – so wie ich dich kenne, Chloé, hättest du ihn geliebt. Er war ein feiner Junge, lustig, aufmerksam, sorgte sich um alles und jeden, immerzu fröhlich. Er malte. Ich werde dir morgen seine Aquarelle zeigen, sie sind in meinem Arbeitszimmer. Er erkannte alle Vögel an ihrem Gesang. Er machte seine Späße, ohne jemanden zu verletzen. Ein charmanter Junge. Wirklich charmant. Und alle Welt liebte ihn.«
    »Woran ist er gestorben?«
    Mein Schwiegervater hatte sich abgewandt.
    »Er ist nach Indochina gegangen. Von dort ist er krank und halb von Sinnen wiedergekehrt. Am 14. Juli 1956 ist er an Tuberkulose gestorben.«
    »…«
    »Ich brauche wohl nicht zu betonen, daß sich meine Eltern seitdem keine einzige Parade mehr angeschaut haben. Auch Bälle und Feuerwerke waren für sie passé.«
    Er fügte das kleingeschnittene Fleisch hinzu und wendete es so lange, bis es eine goldbraune Farbe annahm.
    »Weißt du, das Schlimmste war, daß er sich freiwillig gemeldet hatte. Damals war er im Studium. Er war herausragend. Er wollte in die Forstwirtschaft. Er liebte den Wald und die Vögel. Er hätte nicht gehen dürfen. Er hatte überhaupt keinen Grund zu gehen. Überhaupt keinen. Er war ein liebevoller Mensch, ein Pazifist, der Giono zitierte und …«
    »Und wieso ist er gegangen?«
    »Ein Mädchen. Dummer Liebeskummer. Völlig bekloppt, nicht einmal ein richtiges Mädchen, ein halbes Kind noch. Eine absurde Geschichte. Wo ich dir das jetzt erzähle und jedesmal, wenn ich daran denke, bin ich erschüttert über die Sinnlosigkeit des Lebens. Ein guter Junge, der wegen einer schmollenden Mademoiselle in den Krieg zieht, grotesk ist das. So was liest man in irgendwelchen Schundromanen. Das ist Stoff für Melodramen und dergleichen!«
    »Hat sie ihn nicht geliebt?«
    »Nein. Aber Paul war verrückt

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