Ich habe sie geliebt
ich.
»Wie hast du das erraten?«
»Ich bin halt gut.«
Das Telefon klingelt. Lucie nimmt ab.
Schließlich höre ich, wie sie fragt:
»Willst du jetzt mit Mama sprechen?«
Wenig später legt sie auf. Kommt nicht zu uns zurück.
Marion und ich räumen zusammen das Kinderbett aus.
Ich finde sie in der Küche, als ich nach unten komme. Sie hat ihr Kinn auf den Tisch gelegt. Ich setze mich neben sie.
Wir sehen uns an.
»Du und Papa, werdet ihr zwei irgendwann wieder ein Liebespaar sein?«
»Nein.«
»Bist du sicher?«
»Ja.«
»Hmm, hab ich’s doch gewußt.«
Sie steht auf und fügt hinzu:
»Weißt du, was ich dir noch sagen wollte?«
»Nein. Was denn?«
»Es ist nur, die Vögel haben schon alles aufgegessen …«
»Stimmt das? Bist du sicher?«
»Ja, komm mit, ich zeig’s dir.«
Sie kam um den Tisch herum und nahm mich bei der Hand.
Wir standen vor dem Fenster. Dieses kleine blonde Mädchen neben mir. Sie trug den Hemdeinsatz eines alten Smokings und einen Unterrock, der von Motten zerfressen war. Ihre neuen Schuhe »You’re a Barbie girl!« steckten in den Stiefeletten ihrer Urgroßmutter. Meine große Mama-Hand umschloß die ihre ganz. Wir betrachteten die Bäume im Garten, die sich im Wind bogen, und dachten wahrscheinlich an das gleiche.
Das Badezimmer ist so kalt, daß ich es nicht über mich bringe, mit den Schultern aus dem Wasser aufzutauchen. Lucie hat uns shampooniert und sich dabei allerhand schwindelerregende Frisuren ausgedacht. »Sieh dich mal an, Mama! Du hast Hörner auf dem Kopf!«
Das wußte ich schon.
Es war nicht gerade witzig, aber ich mußte trotzdem lachen.
»Warum lachst du?«
»Weil ich dumm bin.«
»Warum bist du dumm?«
Tänzelnd trockneten wir uns ab. Nachthemden, Sokken, Schuhe, Pullover, Bademäntel und noch einmal Pullover.
Meine Michelin-Männchen gingen nach unten, um ihre Suppe zu essen.
Die Sicherung flog raus, während Babar in einem Kaufhaus unter den zornigen Blicken des Liftboys mit dem Fahrstuhl spielte. Marion fing an zu weinen.
»Wartet, ich mache das Licht wieder an.«
»Uuh! Uhuhuhuhuh.«
»Hör auf, Barbie girl, du machst deiner Schwester angst.«
»Nenn mich nicht Barbie girl!«
»Dann hör auf.«
Es war weder der Hauptschalter noch die Sicherung. Die Fensterläden klapperten, die Türen knarrten, und das ganze Haus lag in tiefer Dunkelheit.
Schwestern Brontë, bittet für uns.
Ich fragte mich, wann Pierre wohl zurückkommen würde.
Ich trug die Matratze der Mädchen in die Küche. Ohne elektrischen Heizofen war es ausgeschlossen, daß sie oben schliefen. Sie waren aufgeregt wie die Hühner. Wir schoben den Tisch beiseite und plazierten ihre behelfsmäßige Bettstatt neben den Kamin.
Ich legte mich zwischen die beiden.
»Und Babar? Du warst noch gar nicht fertig …«
»Psst, Marion, psst! Schau lieber vor dich hin. Sieh dir das Feuer an. Es wird dir Geschichten erzählen.«
»Ja, aber …«
»Psst.«
Sie schliefen auf der Stelle ein.
Ich lauschte den Geräuschen, die das Haus von sich gab. Meine Nase juckte, und ich rieb mir die Augen, um nicht zu heulen.
Mein Leben ist wie dieses Bett, dachte ich. Unbeständig. Behelfsmäßig. In der Schwebe.
Ich wartete auf den Moment, in dem das Haus abheben würde.
Ich überlegte, daß ich abgehängt worden war.
Witzig, daß Redewendungen nicht nur Redewendungen sind. Man muß schon einmal große Angst gehabt haben, um »kalten Schweiß« zu kennen, oder sich sehr gefürchtet haben, damit man »weiche Knie bekam«, oder?
Mit »abgehängt« ist es das gleiche. Ein herrlicher Ausdruck. Von wem er wohl stammt?
Die Leinen losmachen.
Die eigene Frau abhängen.
Das Weite suchen, seine Flügel ausbreiten und unter anderen Himmeln vögeln.
Nein, wirklich, besser könnte man es nicht sagen …
Ich werde bösartig, ein gutes Zeichen.
Noch ein paar Wochen, dann bin ich bestimmt ganz häßlich.
Denn die Falle ist ja gerade, daß man sich vertäut glaubt. Man trifft Entscheidungen, schließt Kredite ab, geht Verpflichtungen ein und natürlich auch Risiken. Man kauft Häuser, man setzt Babys in rosa Zimmer und schläft jede Nacht eng umschlungen. Man ist verzückt von dieser – wie hieß es noch? Dieser Einmütigkeit . Ja, so hieß es, wenn man glücklich war. Und auch wenn man es weniger war.
Die Falle besteht darin, zu glauben, daß man ein Recht darauf hätte, glücklich zu sein.
Dumm wie wir sind. Naiv genug, eine Sekunde lang zu glauben, wir hätten unser Leben selbst in der
Weitere Kostenlose Bücher