Ich habe sie geliebt
und französisch.‹
›Hast du noch mehr Kinder?‹
›Nein.‹
›Du – du – ich meine – lebst du mit jemandem zusammen?‹
Sie kratzte den Zucker auf dem Boden der Tasse zusammen und lächelte mich an.
›Ich muß jetzt los. Wir werden erwartet.‹
›Schon?‹
Sie war aufgestanden.
›Kann ich euch irgendwo absetzen, ich …‹
Sie griff nach ihrer Tasche.
›Pierre, ich bitte dich …‹
In diesem Moment brach ich zusammen. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Ich weinte wie ein Schloßhund. Ich – er gehörte zu mir, der Kleine. Es war meine Aufgabe, ihm zu zeigen, wie man Tauben jagt, es war meine Aufgabe, seinen Pullover aufzuheben und ihm die Mütze aufzusetzen. Das war meine Aufgabe. Außerdem wußte ich, daß sie mich anlog! Der Junge war älter als vier. Ich war schließlich nicht blind! Ich wußte genau, daß sie mich anlog. Warum log sie mich an?! Warum hatte sie mich angelogen? Es ist nicht erlaubt, so zu lügen! Es – ich schluchzte. Ich wollte ihr sagen, daß …
Sie schob ihren Stuhl zurück.
›Ich muß jetzt los. Ich habe meine Tränen alle vergossen.‹«
»Und dann?«
»Dann bin ich gegangen.«
»Nein, ich meine mit Mathilde, was geschah dann?«
»Dann war es vorbei.«
»Endgültig vorbei?«
»Endgültig.«
Langes Schweigen.
»Hatte sie gelogen?«
»Nein. Danach habe ich aufgepaßt. Ich habe ihn mit anderen Kindern verglichen, mit deinen Mädchen – nein, ich glaube nicht, daß sie gelogen hat. Die Kinder sind heute so groß. Bei all den Vitaminen, die ihr ihnen in die Fläschchen mixt. Manchmal denke ich an ihn. Er dürfte heute fast fünfzehn sein. Er muß riesengroß sein, der Junge.«
»Hast du nie versucht, sie wiederzusehen?«
»Nein.«
»Und heute? Vielleicht ist sie …«
»Heute ist es vorbei. Heute bin ich – ich weiß nicht einmal, ob ich noch in der Lage wäre, sie …«
Er klappte das Feuergitter auf.
»Ich mag nicht mehr darüber reden.«
Er ging, um die Eingangstür abzuschließen und alle Lampen zu löschen.
Ich rührte mich nicht.
»Auf, Chloé. Hast du gesehen, wie spät es ist? Leg dich jetzt schlafen.«
Ich antwortete nicht.
»Hörst du?«
»Also ist die Liebe großer Quatsch? Oder? Es klappt nie.«
»Doch, es klappt. Aber man muß dafür kämpfen.«
»Wie dafür kämpfen?«
»Man muß ein bißchen dafür kämpfen. Jeden Tag ein kleines bißchen, den Mut haben, man selbst zu sein, sich vornehmen, glück…«
»Oh! Klingt das gut, was du da sagst! Man könnte meinen, Paulo Coelho persönlich.«
»Lach du nur, lach du nur.«
»Man selbst sein, damit ist gemeint, seine Frau und seine Kinder sitzenzulassen?«
»Wer redet davon, seine Kinder sitzenzulassen?«
»Ach! Hör auf. Du weißt genau, was ich meine.«
»Nein.«
Ich hatte wieder angefangen zu weinen.
»Los! Geh jetzt. Laß mich allein. Ich kann deine edlen Gefühle nicht länger ertragen. Ich kann nicht mehr. Das wird mir alles zuviel, Monsieur Zartbesaitet, das wird mir alles zuviel.«
»Ich geh schon, ich geh schon. Wenn man mich so nett bittet.«
Kurz bevor er das Zimmer verließ, sagte er:
»Eine letzte Geschichte noch, darf ich?«
Ich wollte nicht.
»Einmal, vor ganz langer Zeit, als meine Tochter noch sehr klein war, bin ich mit ihr in der Bäckerei gewesen. Es kam selten vor, daß ich mit meiner Tochter in die Bäckerei ging. Es kam selten vor, daß ich ihr die Hand gab, und noch seltener, daß ich mit ihr allein war. Es muß ein Sonntagmorgen gewesen sein, die Bäckerei war voll, die Leute kauften Erdbeerkuchen und Baisertorte. Beim Hinausgehen bat mich meine Tochter um das Knäuschen des Baguettes. Ich habe es ihr verweigert. Nein, habe ich gesagt, nein. Erst wenn wir bei Tisch sind. Wir kamen zurück und setzten uns an den Tisch. Eine hübsche kleine Familie. Ich schnitt das Brot auf. Aber als ich meinem Töchterchen das Knäuschen hinhielt, gab sie es an ihren Bruder weiter.
›Du hast doch gesagt, du wolltest es haben.‹
›Vorhin wollte ich es haben‹, hat sie geantwortet und ihre Serviette auseinandergefaltet.
›Aber es schmeckt doch jetzt noch genauso gut‹, insistierte ich, es ist das gleiche.
Sie drehte den Kopf weg.
›Nein, danke.‹
Ich werde mich schlafen legen, ich werde dich im Dunkeln zurücklassen, wenn du das willst, aber bevor ich das Licht lösche, würde ich dir gerne noch eine Frage stellen. Ich stelle sie nicht dir, ich stelle sie nicht mir, ich stelle sie der Holzverkleidung an der Wand:
›Hätte dieses kleine
Weitere Kostenlose Bücher