Ich habe sie geliebt
die Sonne kam, und meine Mutter verbot uns, die Fenster aufzumachen, weil sich direkt vorm Haus ein Autobusdepot befand. Sie fürchtete, ihre Vorhänge – bekämen einen Grauschleier. Oho, dieser nette Bordeaux läßt mich zu Ausdrücken greifen, na, so was! Ich langweilte mich zu Tode. Ich war zu jung, als daß sich mein Vater für mich interessiert hätte, und meine Mutter war sehr unstet.
Sie ging häufig aus. ›Zeit, die ich der Gemeinde opfere‹, sagte sie und hob die Augen zum Himmel. Sie trug ein wenig zu dick auf, ärgerte sich darüber, wie dumm einige dieser frommen Frauen wären, die sie von vorn bis hinten erfunden hatte, zog ihre Handschuhe aus, warf sie auf die Anrichte in der Diele, wie man seine Schürze abwirft, seufzte, wirbelte herum, plapperte und verstrickte sich bisweilen in Widersprüche. Wir ließen sie reden. Paul nannte sie Sarah Bernhardt, und mein Vater vertiefte sich kommentarlos wieder in seinen Figaro , sobald sie das Zimmer verlassen hatte … Kartoffeln?«
»Nein, danke.«
»Ich ging auf die Ganztagsschule Janson-de-Sailly. Ich war so grau wie unser Haus. Ich las das Blatt Cœurs vaillants und die Abenteuer von Flash Gordon. Spielte jeden Donnerstag mit den Söhnen der Mortelliers Tennis. Ich – ich war ein sehr braves Kind und völlig uninteressant. Ich träumte davon, mit dem Fahrstuhl in den sechsten Stock zu fahren, um hinauszuschauen. Ein waghalsiges Abenteuer, nicht wahr? In den sechsten Stock zu fahren! Ein richtiger Dummkopf, wirklich …
Ich hatte auf Patrick Frendall gewartet.
Ich hatte auf den Papst gewartet!«
Er war aufgestanden, um das Feuer im Kamin zu schüren.
»Na ja – eine Revolution war es nicht. Allenfalls eine angenehme Abwechslung. Ich hatte immer geglaubt, daß ich – wie soll ich sagen – eines Tages ausbrechen würde. Aber nein. Soweit ist es nie gekommen. Ich bin dieses brave und uninteressante Kind geblieben. Warum erzähle ich dir das eigentlich? Warum bin ich nur plötzlich so geschwätzig?«
»Ich hatte danach gefragt.«
»Na ja, das ist ja aber kein Grund! Geht dir mein nostalgisches Geschwätz nicht zu sehr auf den Geist?«
»Nein, nein, im Gegenteil, es gefällt mir.«
*
Am nächsten Morgen fand ich eine kurze Nachricht auf dem Küchentisch vor: »Bin im Büro«.
Daneben heißen Kaffee und ein riesiges Holzscheit auf dem Feuerbock.
Warum hatte er mir nichts von seiner bevorstehenden Abreise gesagt?
Was für ein eigenartiger Mensch. Wie ein Fisch, der sich immerzu davonstiehlt und einem aus den Händen gleitet.
Ich schenkte mir einen Kaffee ein und trank ihn stehend, ans Küchenfenster gelehnt. Ich betrachtete die Rotkehlchen, die sich um den Block Schweineschmalz scharten, den die Mädchen gestern auf die Bank gestellt hatten.
Die Sonne lugte kaum über die Hecke.
Ich wartete darauf, daß die Mädchen aufstanden. Das Haus war zu ruhig.
Ich hatte Lust auf eine Zigarette. Es war bescheuert, ich hatte vor Jahren aufgehört zu rauchen. Tja, aber so ist das Leben. Da beweist du eine fabelhafte Willenskraft, um dann, eines Wintermorgens zu beschließen, daß du vier Kilometer durch die Kälte laufen willst, um eine Schachtel Zigaretten zu kaufen, oder du liebst einen Mann, mit dem du zwei Kinder in die Welt setzt, und eines Wintermorgens erfährst du, daß er dich verläßt, weil er eine andere liebt. Fügt noch hinzu, es täte ihm leid, er habe sich geirrt.
Wie am Telefon: »Entschuldigen Sie, ich habe mich geirrt.«
Aber bitte sehr.
Eine Seifenblase.
Es ist windig. Ich gehe nach draußen, um das Schweineschmalz in Sicherheit zu bringen.
Ich sitze mit den Mädchen vorm Fernseher. Ich fasse mir an den Kopf. Die Helden ihrer Zeichentrickfilme kommen mir töricht und künstlich vor. Lucie ist genervt, schüttelt den Kopf, will, daß ich den Mund halte. Gern würde ich ihr von Candy erzählen.
Als ich klein war, war ich von Candy total fasziniert.
Candy redete nie über Geld. Nur über Liebe. Aber dann schwieg ich doch: Denn was hat es mir genützt, so zu sein wie Candy, diese Tussi …
Der Wind wird stärker. Ich gebe den Plan auf, ins Dorf zu gehen.
Wir verbringen den Nachmittag auf dem Speicher. Die Mädchen verkleiden sich. Lucie wedelt mit einem Fächer vor dem Gesicht ihrer Schwester herum:
»Ist Ihnen zu heiß, Frau Gräfin?«
Die Frau Gräfin kann sich nicht mehr bewegen. Sie hat zu viele Hüte auf dem Kopf.
Wir tragen eine alte Wiege nach unten. Lucie meint, wir sollten sie anmalen.
»In Rosa?« frage
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