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Ich hatte sie alle

Ich hatte sie alle

Titel: Ich hatte sie alle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katinka Buddenkotte
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trinken. Dieser Tag war voller Überraschungen und Offenbarungen. Im Gegenzug zeigte ich meiner Schwester, wie man durch unser Zimmerfenster Dinge ins Haus schmuggelte, die elterlichen Augen zunächst besser verborgen blieben.
    Als Dirk drei Monate später unser Haus erstmalig durch die Tür betrat, waren meine Eltern cool wieStreetworker. Vielleicht übertrieben sie es etwas, denn mein Vater wollte plötzlich unbedingt mit ihm Motorrad fahren, und meine Mutter fragte Dirk offenherzig nach einer geeigneten Körperstelle für ein Tattoo, aber das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden.

Ich weiß, warum ich nicht mehr raus in die feindliche Welt gehe. Ich habe nichts zum Anziehen. Ich meine jetzt nicht nur wegen des Wetters, sondern ich besitze an und für sich weder Street Basics noch Büroschick .
    Mein Kleiderfundus besteht nur aus den beiden anderen Kategorien, nämlich Fummel und Leisure Wear . Letztere sind meist Werbegeschenk-T-Shirts mit hanebüchenen Aufdrucken, Erstere eher die Kleidchen, die man sich ohne anzuprobieren kauft und denkt: »Notfalls kannste es ja noch als Nachthemd anziehen.« Auf diese Weise ist auch eine beachtliche Schnittmenge der beiden Kategorien entstanden, sozusagen Leisure-Fummel . So gibt es durchaus Nächte, in denen ich wie eine Königin zu Bett gehe. Vielleicht nicht wie die Königin von Saba, aber wie die Königin der Hummeln oder so. Die Sachen, die ich auf der Straße trage, habe ich entweder offiziell geerbt oder irgendjemand hat sie mal bei mir liegen gelassen.
    Ich möchte aber betonen, dass es nicht aus meinem Mangel an Stilbewusstsein herrührt, dass ich ab und an wie Karl Arsch rumlaufe, sondern dass die Schuldbei den Personen liegt, die mir über die Jahre hinweg deutlich zu verstehen gegeben haben, dass ich körperlich nicht der menschlichen Gattung zuzurechnen bin: Einzelhandelsverkäuferinnen im Bereich Damenoberbekleidung. Und genau wie Klamotten lassen sich auch die Weibchen, die die Textilien feilbieten, schön in Gruppen aufteilen.
    Die einen sind die Hilfsbereiten .
    Auf sie traf ich schon im frühen Alter, als ich das letzte Mal mit Mammi shoppen ging. Sie nehmen ihren Job sehr ernst, heißen Frau Terges, finden schöne Worte für pubertäre Verwachsungen und reißen abwechselnd mit Mammi die Kabinentür auf, um nach dem Rechten zu sehen oder noch mal eine Größe »drüber« reinzureichen. In den Kabinen dieser Geschäfte befinden sich keine Spiegel. Da muss man dann raus. Zu Mammi und Frau Terges, die über dich reden, als seiest du eine Pflanze. Das geht dann so …
    Mammi: »Zieh das doch mal richtig an.«
    Frau Terges: »Das ist jetzt schon L, sie hat halt eine starke Mitte … Ist der Vater auch so gebaut?«
    Mammi: »Zieh das doch mal richtig an.«
    Frau Terges (nähertretend): »Sieht auch schön aus, wenn man das an den Ärmeln so aufschoppt.«
    Mammi: »Genau, zieh das doch mal richtig an.«
    Frau Terges: »Da haben wir jetzt ganz schöne Hosen zu reingekriegt, ich weiß aber nicht, ob wir die noch in der Größe da haben … die jungen Dinger sind aber auch kräftig gebaut heutzutage.«
    Mammi: »Zieh das doch mal …«
    Und so weiter.
    Irgendwann hat auch die liebevollste Mutter keinen Bock mehr, mit einer Tochter in die Stadt zu gehen, die unfähig ist, vorne von hinten und Umkrempeln von dem beliebten »Aufschoppen« zu unterscheiden.
     
    Ich dachte noch, es sei ein guter Tag, an dem ich statt Taschengeld nun »Bekleidungsgeld« bekam. Endlich dreizehn und erwachsen, sollte ich für fünfzig Mark im Monat einen eigenen Modegeschmack finanzieren. Nichts leichter als das, dachte ich.
    An diesem Tag ging ich in den total angesagten Secondhandladen mit dem total coolen Namen »Kaufrausch«. Bis dahin wusste ich nicht, dass man die Schwellen solcher Schuppen nur dann übertritt, wenn man ganz und gar in der eigenen Retrokollektion dieses Ladens eingekleidet ist. Wenn man diesem ungeschriebenen Gesetz nämlich nicht folgt, geschieht es, dass man dem ganzen widerlichen Wesen der zweiten Sorte von Verkäuferin ausgeliefert wird: der Szeneprinzessin .
    Die Szeneprinzessin ist um die zwanzig, aber schon sehr reif, um nicht zu sagen faltig für ihr Alter. Sie studiert eigentlich romanische Sprachen und jobbt nur für die Kohle, um aus diesem unerträglichen Kaff endlich wieder ab nach Formentera zu düsen, »da sind die Leute einfach freundlicher, eine ganz andere Mentalität haben die«.
    Es gelingt der Szeneprinzessin nur

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