Ich klage an
Religion. Wer Allah liebt und seinem Propheten folgt, wird sich nie dazu hergeben, andere - Gläubige oder Ungläubige -zu belästigen, geschweige denn, sie zu töten oder sich an Terroranschlägen zu beteiligen.
Aber wenn dem so ist, wie sollen wir dann die Tatsachen erklären? Was muß ich als Muslima denken, wenn ich lese, a daß Muslime für elf oder zwölf der sechzehn großen internationalen Terroranschläge verantwortlich waren, die zwischen 1983 und 2000 verübt wurden; n daß fünf der sieben Staaten, die Terroristen unterstützen und als solche auf der Liste des amerikanischen State Department stehen, muslimische Länder sind; und daß die Mehrheit der ausländischen Organisationen auf derselben Liste islamische Organisationen sind; n daß dem International Institute of Strategie Studies (London) zufolge an zwei Dritteln der zweiunddreißig bewaffneten Konflikte im Jahr 2000 Muslime beteiligt waren, obwohl nur ein Fünftel der Weltbevölkerung muslimisch ist?
Wenn mit dem Islam alles in Ordnung ist, warum sind dann so viele Muslime auf der Flucht? In den Top 10 der Länder, aus denen Menschen in die Niederlande geflüchtet sind, befinden sich neun überwiegend islamische. Warum gehen wir Muslime in den Westen, obwohl wir ihn gleichzeitig verurteilen? Was hat der Westen, was wir nicht haben? Warum ist die Stellung der Frau in islamischen Ländern so miserabel? Wenn wir Muslime so tolerant und friedliebend sind, warum gibt es dann in islamischen Ländern soviel ethnische, religiöse, politische und kulturelle Zerrissenheit und Gewalt? Warum können oder wollen wir nicht einsehen, daß wir alle in einer ernsten Lage stecken? Warum sind wir Muslime so voll von Gefühlen der Wut und des Unbehagens und tragen soviel Feindseligkeit und Haß untereinander und anderen gegenüber in uns? Warum gelingt es uns nicht, uns selbst zu hinterfragen?
Wenn ich den Islam charakterisieren sollte, würde ich sagen, daß er wie der Vater Attas geworden ist: zornig, trau-matisiert, erschüttert und in einem Wahn befangen. Wie Vater Atta seinen Sohn Mohammed gezeugt hat, so hat der Islam einen Zweig hervorgebracht, den wir manchmal Fundamentalismus und manchmal politischen Islam nennen. Wie der Vater nicht einsehen wollte, daß sein Sohn möglicherweise eine andere, eine dunkle Seite hatte, so haben wir Muslime uns lange Zeit geweigert einzusehen, daß eine einstmals friedliche, starke und stabile Religion fundamentalistische und gewalttätige Elemente in sich trägt. Wir wollten und wollen noch immer für alles eine eigene islamische Lösung. Wir haben unseren Lebenskurs, die Struktur unserer Gesellschaft, unsere Wirtschaftspolitik, die Erziehung unserer Kinder und das Verhältnis von Mann und Frau immer Gott überlassen. Inschallah (wenn Gott es will) ist die am häufigsten verwendete Redewendung in Gesprächen von Muslimen.
Hat Gott versagt? Wir Muslime haben die Balance zwischen Religion und Vernunft völlig aus den Augen verloren.
Die Ergebnisse sind Armut, Gewalt, politische Instabilität, wirtschaftliche Stagnation und menschliches Leid. Wie Vater Atta stolz auf seinen Sohn ist, so sind wir Muslime stolz auf unseren Islam; wir wollen und können nicht glauben, daß Allah keine Antworten mehr auf all unsere Fragen hat. Und wenn er sie doch haben sollte, will er sie nicht geben.
Dennoch gibt es eine gewisse Zahl von Muslimen, denen Zweifel gekommen sind und bei denen bereits eine vorsichtige Selbstbesinnung eingesetzt hat; sie suchen einen Weg, aus dem Labyrinth zu entkommen, in dem wir gefangen sind. Heute sind sie noch in der Minderheit und müssen gegen die Not und gegen die Fundamentalisten kämpfen. Aber nicht nur dagegen. Sie müssen auch gegen die reaktionären Kräfte kämpfen, die immer geschickter darin werden, sich die (verfassungsmäßigen) Freiheiten gut funktionierender Demokratien wie der Niederlande zunutze zu machen, und die mit Erfolg die Mittel mobilisieren, um den Wahn aufrechtzuerhalten, in dem die muslimischen Massen gefangen sind.
Die Frage, ob wir vor dem Islam Angst haben müssen, können wir in die Frage umwandeln, ob wir uns vor Vater Atta fürchten müssen. Inwieweit ist Angst vor einer verwirrten Partei begründet, und was fängt man mit dieser Furcht an? Es ist menschlich, vor den schlimmen Facetten einer Religion — wie Extremismus und Fanatismus - Angst zu haben, aber es ist auch menschlich, den Schmerz der Muslime zu begreifen und ihnen helfen zu wollen.
Den reaktionären Regimes im
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