Ich klage an
verurteilen Polygamie, Ehrenmord und die Mißhandlung von Frauen; wir wollen die mangelnde schulische Bildung und das fehlende Engagement auf dem Arbeitsmarkt bekämpfen; wir sehen den Zusammenhang zwischen abgebrochenen Schulkarrieren und Kriminalität. Dennoch diskutieren wir lieber nicht über die kulturellen und religiösen Hintergründe dieser Mißstände und Probleme. Auch über die Tatsache, daß altmodische Sitten und Gebräuche und orthodoxe religiöse Auffassungen die Integration behindern, wird zu leicht hinweggesehen.
Daß »alte Formen und Gedanken« unter Muslimen noch sehr lange weitergegeben werden, ist klar. Dafür sorgen erzkonservative Imame, Importehen, der zunehmende islamische Unterricht und das Konsumieren von fundamentalistisch orientierten Fernsehprogrammen. Deshalb darf die traurige Wechselwirkung zwischen dem kulturellen Nachhinken großer Gruppen von Muslimen und ihrer gesellschaftlichen Rückständigkeit in der Integrationspolitik nicht länger ignoriert werden.
Der religiös-kulturelle Aspekt wird in der ersten Hälfte dieses Essays behandelt. Anhand dreier Autoren - Armstrong, Lewis und Pryce Jones - versuche ich zu zeigen, daß sich der islamische Glaube vorzüglich zur Aufrechterhaltung prämoderner Sitten und Gebräuche eignet. Gerade im Islam sind Religion und Kultur eng miteinander verknüpft. Viele nach westlichen Maßstäben indiskutable Praktiken werden unter Verweis auf die Verse des Korans legitimiert. Die mentale Welt des Islam ist eine Widerspiegelung der Stagnation, in welche diese Religion wenige Jahrhunderte nach ihrer Entstehung geraten ist.
Anschließend skizziere ich kurz den Hintergrund muslimischer Immigranten in den Niederlanden. Dabei werden auch die Auswirkungen einer prämodernen Mentalität behandelt. Daraufhin werden vier Denkansätze der Integrationsproblematik aufgezeigt, die in den vergangenen Jahrzehnten das politische Handeln der niederländischen Regierung beeinflußt haben. Es geht dabei um den politisch-juristischen, den (rein) sozio-ökonomischen, den multikulturellen und den sozio-kulturellen Ansatz. Diese Ansätze werden im weiteren kritisch besprochen, wobei ich untersuche, inwieweit sie den im ersten Teil skizzierten kulturell-religiösen Hintergrund von muslimischen Migranten berücksichtigen.
Meine Hypothese lautet, daß bestimmte Grundprinzipien des traditionellen Islam sowie tradierte Gewohnheiten dieser spezifischen ethnischen Gruppe mit elementaren Werten und Normen der niederländischen Gesellschaft kollidieren. Die Ablehnung von Werten der aufnehmenden Gesellschaft beziehungsweise das Festhalten an kulturellen Normen der Herkunftsregion erklärt zu einem Großteil den sozio-ökonomi-schen Rückstand, in dem sich viele Muslime in den Niederlanden befinden.
Gesellschaftliche Relevanz
Warum wird in diesem Essay nur auf die Integrationsprobleme von Muslimen eingegangen? Bei Surinamern, Antillia-nern, (christlichen) Ghanaern und Chinesen (um nur einige ethnische Gruppen zu nennen) spielen Integrationsprobleme ja ebenfalls eine Rolle. Doch Muslime haben bei der Anpassung an eine moderne westliche Gesellschaft wie die niederländische spezifische Probleme, die sich aus ihrer Religion und Kultur ergeben. Ohne Kenntnis des kulturellen und religiösen Hintergrunds von Muslimen wird jedes Gespräch zu einem Problem. In diesem Aufsatz werden unter »Muslime« die Menschen verstanden, die glauben, daß es einen Gott gibt, nämlich Allah, daß Mohammed sein Prophet ist und daß seine Lehre im Koran festgelegt ist. Es geht hier um »Religion als kulturbildenden Faktor, mit einem aus der Deutung der göttlichen Wahrheit abgeleiteten Normen- und Wertesystem und einer aufgrund dessen als selbstverständliche Übertragung einer höheren moralischen Ordnung erachteten Gesellschaftsform«. 1 Nachlassender Moscheebesuch bei muslimischen Jugendlichen bedeutet also keineswegs, daß sie sich selbst nicht mehr als Muslime bezeichnen würden. Auch unter zahlreichen nicht praktizierenden Muslimen bleibt der Glaube Kern ihrer Identität und Grundlage ihrer Normen und Werte.
Die Muslime, von denen wir sprechen, sind in erster Linie die Arbeitsmigranten aus der Türkei und aus Marokko sowie
deren (häufig in den Niederlanden geborene) Kinder. Im Jahr 2000 waren in diesen Gemeinschaften 309000 beziehungsweise 262000 Personen registriert. Daneben gab es in den vergangenen zehn Jahren eine beträchtliche Asylmigration, etwa aus dem Irak (38 000 Personen), Somalia
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