Ich knall euch ab!
sich, ob man bei Konsumartikeln und modischen Verhaltensweisen wirklich mithalten kann. Viele Studien belegen, dass es zu Belastungen mit aggressiven Ausweichhandlungen kommen kann, wenn sich Kinder und Jugendliche gegenüber ihren Gleichaltrigen bei diesen prestigeträchtigen Verhaltensweisen zurückgesetzt fühlen.
Insgesamt findet ein hohes Ausmaß von körperlicher, psychischer und verbaler Gewalt innerhalb der Gleichaltrigengruppen statt, teilweise innerhalb der Schule, teilweise außerhalb.
Vor allem in städtischen Ballungsgebieten und sozialen Brennpunkten kann es dabei zu erheblichen Entladungen von angestauter Aggression und Wut kommen, wobei unterschiedliche soziale und ethnische Herkunft eine große Rolle spielt.
Ist die Atmosphäre einmal aggressiv aufgeheizt, kommen auch die Medien ins Spiel. Der Konsum von Horrorvideos und anderen gewalthaltigen medialen Produkten nimmt sprunghaft zu, wenn die – zumeist männlichen – Jugendlichen erst einmal in die Gewaltspirale hineingeraten sind. Jetzt werden durch die teilweise skrupellosen TV - und Video-Darstellungen die eigenen Aggressionsimpulse verstärkt, gleichzeitig wirken die Darsteller in den Medien als soziale Modelle für das eigene Verhalten. Rassistische und fremdenfeindliche, insbesondere auch rechtsextreme und faschistische Inhalte spielen hierbei eine besondere Rolle.
Bei Robert Steinhäuser kommt noch eine besondere Problematik ins Spiel: Robert war ausgebildeter Schütze in einem deutschen Schützenverein, er hatte das Schießen in vielen Stunden routinemäßig gelernt. Irgendwann kam es bei ihm, als er ohnehin schon jede Zuversicht in die Gestaltbarkeit seines wirklichen Lebens verloren hatte, zu einer Übersprunghandlung. In Videospielen war er zum Täter und zum Mörder geworden, er hatte sich in eine brutale Scheinwelt hineinziehen lassen. Nicht nur am Bildschirm war er ein guter Schütze, sondern auch in der Wirklichkeit. Und genau an dem Tag, an dem das Lügengebäude, das er Eltern und Bekannten vorgetäuscht hatte, aufgeflogen wäre, an dem Tag, an dem seine Abiturprüfung hätten beginnen sollen, hat er dann in der Realität geschossen. Keiner weiß, was in seinem Kopf vorgegangen ist, aber vermutlich wird er in der Phase seines Amoklaufes den Unterschied zwischen dem Erschießen eines Menschen auf dem Bildschirm und dem Erschießen eines Menschen in seiner Schule nicht mehr wahrgenommen haben. Die Diskussion darüber, ob wie bisher mit menschenverachtenden und zugleich zum Mord anregenden fiktiven Darstellungen als Spielangebot weitergemacht werden darf, ist dringend notwendig.
Und die Schule selbst? Welche Rolle wird ihr in der wissenschaftlichen Ursachenforschung zugesprochen?
Die Schule kontrolliert als gesellschaftliche Institution den Zugang zu den begehrten Positionen von Leistungserfolg und späterem beruflichen Status. Sie kategorisiert die Schülerinnen und Schüler als stark und erfolgreich oder als schwach und versagend – und wer als versagend eingestuft wird, erlebt eine erhebliche Verunsicherung des Selbstwertgefühls und muss sich auf eine deutliche Beeinträchtigung der späteren beruflichen und sozialen Chancen einstellen. Alle Untersuchungen zeigen sehr eindeutig: Aggressivität und Gewalt treten innerhalb der Schule auf, weil sie Verteidigungs- und Ausgleichsmechanismen gegen die psychischen und sozialen Verunsicherungen sind, die durch so genanntes Leistungsversagen entstehen.
Die Mehrheit der Jugendlichen schreibt der Schule heute eine enorme Bedeutung für das Berufsleben zu und weiß, dass für den Eintritt in den Beruf das schulische Abschlusszertifikat eine zwingende Voraussetzung geworden ist. Schülerinnen und Schüler wissen, dass sie in einer handfesten Wettbewerbsgesellschaft leben, in der Kinder und Jugendliche in sozialen Brennpunkten und aus zugewanderten Familien besonders benachteiligt werden. Ihre ungünstige wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation lässt sie, auch in ihrer eigenen Wahrnehmung, zu Verlierern werden. Durch Aggressivität und Gewalt reagieren sie auf diese aussichtslose Situation, wollen die Zurücksetzung und Demoralisierung abschütteln und wieder das Gesetz des Handelns an sich ziehen. Und das gelingt auch. Das ist das Vertrackte an Gewalt in der Schule: Wer sie ausübt, ist meist in einer ohnmächtigen und schwachen Ausgangsposition. Durch die Gewalthandlung aber steht er plötzlich im Mittelpunkt und gewinnt enorm an Aufmerksamkeit. Ein fataler Mechanismus,
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