Ich krieg die Krise! (German Edition)
Objekte zeitgenössischer Kunst, Kissen, Kränze und Figürchen, die ich sorgfältig auf den Flohmärkten dieser Republik aussuche. Tassen mit Blumenmotiven, Küchengeräte wie Wasserkocher und Bügeleisen habe ich ebenfalls dabei, genauso wie modische Tapeten und Tapetenkleister, Säge und Sperrholz. Meine Kabarettprogramme sind mir unwichtig geworden und ich verdiene mir meinen Lebensunterhalt bald vollständig als Dekorateurin und husche wie Tine Schüttler gazellengleich durch deutsche Interieurs und verschönere die Garderoben dieser Republik.
Claus von Wagner: Kindergarten-Kapitalismus – ein Tagebuch
Januar
Bin drei Jahre alt und gehe in den Kindergarten in der Mauerstraße. In der Frühförderungseinheit nennen wir ihn immer »Wall Street«. Wir werden hier im kapitalistischen Sinne erzogen. Also: Wenig Aufsicht, kein Mittagsschläfchen, und jeden Tag müssen wir machen, was wir wollen. Ich mach am liebsten Geld. Meistens spiele ich Kaufladen mit Maximilian-Justus. Wir sind die Einzigen, die dabei Profit rausschlagen. Wir sind nämlich die Einzigen, die echte Lebensmittel verkaufen. Für die anderen Kinder ist der DAX noch ein Waldbewohner …
März
Haben die anderen Kinder bei uns angestellt und einen Stand für Zitronenlimonade aufgebaut. Super Rendite. Vor allem seit wir keine echten Zitronen mehr verwenden. Sondern Zitronensaftkonzentrat. Aus der Abfalltonne hinter dem Supermarkt. Klar, das kann bei übermäßigem Verzehr abführend wirken. Aber verheimlichen tun wir das ja auch nicht. Es steht ganz groß im Kleingedruckten. Und die meisten Kinder sind zufrieden, denn sie können noch nicht lesen.
Juli
Unsere Limo hat heftigen Durchfall verursacht. Wir mussten etwas tun. Wir vermarkten sie jetzt als Medikament gegen Verstopfung. Und der Absatz steigt. Kein Wunder, bei dem was die Kinder alles an Süßigkeiten in sich reinmampfen. Die wir ihnen natürlich auch verkaufen. In unserem neuen Online-Laden »Zuckerschock«. Die ersten Kinder sind schon süchtig. Wir nehmen das aber natürlich ernst. Wir geben ihnen Kredite. Aber keine Sorge: Die Zinsen davon gehen an einen guten Zweck. Die gehen direkt an uns!
Oktober
Maximilian-Justus hat Gewissenbisse. Er hat Insiderinformationen über unsere Geschäftspraktiken veröffentlicht. Gott sei Dank sind seine Wachsmalkreidebilder so surreal, dass ihn keiner verstanden hat. Unsere Rendite stagniert. Haben versucht Personal abzubauen. Aber die Kindergärtnerin hat gesagt, wir sollen sie in Ruhe lassen. Dann die rettende Idee. Der kleine Klaus wollte die Limo-Schulden vom großen bösen Bernd kaufen. Weil er dann was gegen den bösen Bernd in der Hand hätte, wenn der mal wieder die Unterhose vom kleinen Klaus ans Klettergerüst hängt. Wir verkaufen jetzt also Kredite. Das heißt, wir bekommen Geld, für Geld, das wir nicht haben. Das muss uns erst mal jemand nachmachen. Denn KEIN Geld haben wir unendlich viel!
Dezember
Es kommt jetzt ganz dicke. Unsere Kindergartenzeitung, das Wall Street Journal , hat Alarm geschlagen. Das Patent auf unser Zitronenlimonade-Medikament wäre abgelaufen. Eine chinesische Kinderkrippe hätte schon angefangen billige Generika auf den Markt zu werfen. Unsere entlassenen Mitarbeiter verklagen uns wegen Kinderarbeit. Maximilian-Justus musste zum Kindertherapeuten und der böse Bernd hat die Unterhose vom kleinen Klaus trotzdem ans Klettergerüst gehängt. Der Schuldschein ist damit innerhalb von Sekunden wertlos geworden. Ich krieg die Krise! Unser gesamtes Vermögen ist weg, unsere Unterhosen flattern im Wind: Wir sind nackt, arm und hungrig. Warum hilft uns denn niemand? Wo ist eigentlich die Kindergärtnerin, wenn man sie braucht?
Die Autoren
Katinka Buddenkotte
Geboren 1976 in Münster, begab sich Katinka Buddenkotte nach dem Abitur auf Lehr- und Wanderjahren, in denen sie die Betreiber von Call-Centern, Jugendherbergen und Messeständen das Fürchten lehrte. Heute lebt die erfolgreiche Buchautorin und Kabarettistin in Köln. Mit Ich hatte sie alle veröffentlichte WortArt 2010 eine Lesung aus ihren ersten beiden Büchern und bisher unveröffentlichten Texten auf CD.
HG. Butzko
HG. Butzko, Jahrgang 1965, wuchs im Gelsenkirchener Stadtteil Schalke auf. Nach Abitur und Zivildienst begann er 1987 seine Karriere als Schauspieler und Regisseur. Seit 2010 tourt er mit seinem bereits sechsten Bühnenprogramm Verjubelt durch Deutschland. Er gewann unter anderem den Deutschen
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