Ich krieg die Krise! (German Edition)
Auftrittsbeginn hinter einem feuchten Vorhang ausharren, wenn die Zuschauer schon im Saal waren. Da ich dort mehrere Tage spielte, habe ich den Fehler gemacht, meine Kleider, also das Engelskostüm, und die Perücke und meinen Koffer dort zurückzulassen. Die Kleidung stank nach feuchten Mauern, gegen die Hunde uriniert hatten, und die Instrumente waren am nächsten Tag verrostet, so feucht war es. Champignons und fremdartige Baumpilze in den verschiedensten Farben und Formen wuchsen an den Mauern.
Dann war da noch der Werkraum in Münster. Dort roch es nach Farben, Lösungsmitteln und Pinseln. Haben Sie schon einmal Pinsel gerochen? Na, dann stellen Sie sich’s halt vor.
Auch in Klassenzimmern habe ich mich schon entkleidet, nein, die Kinder waren Gott sei Dank nicht da, aber es roch nach jahrtausendealtem Kinderschweiß. Oder die Turnhalle in Schwabach. Dort roch es nach jahrtausendealtem Kinderschweiß mit einer Prise Turnbeutel und einer sanften Brise Turnschuh – aus Synthetik. Ich bin dafür, dass man Kinder mit Turnschuhen aus saugfähigen Naturmaterialien ausstattet – was ist denn mit diesen Windeln, in die man Liter von blauer Flüssigkeit schütten kann, und alles wird von den ebenfalls darin sitzenden Mikroben auf das Sorgfältigste absorbiert?
Ich will es auch kurz machen, all die würdelosen und deprimierenden Garderoben kann ich gar nicht anführen. Erwähnt sei da noch das Campingzelt in Kehl am Rhein, in das die umherstreunenden Zuschauer durch Gucklöcher hineinstarren konnten, was sie auch taten. Ich integrierte also notgedrungen den Umzug in meinen Vortrag und inszenierte einen Spontanstriptease als Appetizer fürs wirkliche Programm.
An der Mosel sperrte man mich und den Gitarristen in eine Garage, die in einen Hang gebaut und voller Planen und Stühle war. In Eltville waren wir im Büro des Soziarbeiters der angeschlossenen Psychiatrie. Dort korrigierte ich aus Rache die Krankenakten.
Erwähnen möchte ich aber auch noch die charmante Garderobe des Hubertussaales in Nürnberg, wo der Veranstalter, oder vielleicht war es auch der Hausmeister, versucht hatte, die gelben Tapeten durch eingerahmte Kunstdrucke zu neutralisieren. Auf einem Kunstdruck war ein offensichtlich verschrecktes Mädchen mit Dackel und ein Stückchen Baum. Wenn Sie wollen, zeige ich es Ihnen mal oder stelle es auf meine Homepage. Ich war mir sicher, dass bei einer eingehenden Interpretation irgendetwas mit Kindesmissbrauch herauskam.
Und glauben Sie nicht, dass die Garderoben offizieller Institutionen besser ausgestattet wären. Fernsehgarderoben beim WDR oder NDR sind zwar sauber und meist trocken, aber kahl wie die Pleete von Meister Proper. Beim Fernsehen sind die Garderoben immer kahl, diese Kahlheit versucht man zu vertuschen durch ein Gebinde an Salzstangen, Obst und Plastikwasserflaschen, manchmal auch Alkohol, den man sich dankbar zuführt. Und gerade in diesen Garderoben wartet man überdurchschnittlich lange, das summiert sich bis zu sechs, sieben Stunden, in denen die Depression und der Schnaps Zeit haben, in den Künstler oder die Künstlerin hineinzukriechen. Und da soll man dann noch einen guten Auftritt abliefern. So mit Lächeln und guter Laune und so. Pustekuchen. Da liegt bestimmt der wahre Grund für das sinkende Niveau der Fernsehprogramme, da kann man nicht immer nur die Privatsender für verantwortlich machen.
Das Sperrmülllager in Kleve, die Wurstkammer in Bad Wurzach, das Gefängnis in Kaisheim und das 70er-Jahre-Teenagerzimmer irgendwo in Bayern, das so schrecklich nach Teenspirit roch, das Ledermuseum in Frankfurt und so weiter und so weiter erspar ich Ihnen jetzt. Ziehen Sie sich einmal zwischen Kunst um, man fühlt sich sofort minderwertig bei all den perfekten Formen und Farben. Auch auf die wenigen schönen und gemütlichen Umzugsmöglichkeiten will ich nicht mehr eingehen, denn die sind selten. Ach, vielleicht sollte ich noch den Wohnwagen in Kassel erwähnen, in dem mir im kalten Winter von 2009 drei Zehen abfroren.
Die Garderoben dieser Republik repräsentieren meiner Meinung nach den Zustand unseres Landes, es sind sozusagen Stichproben deutscher Gastlichkeit. Das sollten sich die Politiker mal vor Augen führen und nicht in ihren Abgeordetenbuden die Zeit absitzen.
Seitdem ich diese Strukturen erkannt habe, reise ich immer mit Deko-Utensilien von Fischers Lagerhaus, Ikea oder Habitat durch das Land. Girlanden habe ich dabei, auch Kerzen, Skulpturen sortiert nach Jahreszeit,
Weitere Kostenlose Bücher