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Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können

Titel: Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Korber
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holen. Er begann auch, sie zu spielen. Er verweigerte sich nicht mehr so stark wie früher, wo er einfach weggegangen war, wenn man die Regeln erklären wollte. Er puzzelte sogar mit ihr, das Puzzeln war eine seiner Stärken. Simon bewältigte damals selbst Hunderter-Puzzle locker, er sah einfach mit einem Blick, wo ein Teil hingehörte. Er verweigerte sich also keineswegs. Nur bezog er seine Therapeutin weder in das Spiel mit ein, noch sprach er mit ihr. Sie sagte, es gelinge ihr einfach nicht, einen Kontakt zu ihm herzustellen. Er ignoriere sie, abgesehen von ihren Anweisungen, komplett.
    Nach der vierten Stunde sprach er zum ersten Mal mit ihr, immerhin. Exakt nach dieser Stunde verlangte er auch zu Hause, Spiele zu spielen. Und obwohl es extrem anstrengend war, ihn bei der Stange zu halten und sein Verhalten meist unkonzentriert oder bewusst störend war – er warf die Würfel durch den Raum, sagte die Farben falsch an, machte Quatsch –, war es doch inzwischen möglich, mit ihm Fädelraupe und auch zwei Formlegespiele, die er mochte und oft hervorzog, bis zum Ende zu spielen. Vor allem ging die Initiative dazu von ihm aus.
    Wir trösteten die zunehmend verzweifelnde Ergotherapeutin, immerhin schienen sich ja einzelne Erfolge zu zeigen. Aber insgeheim hielt ich sie, glaube ich, für einen schematischen, wenig einfühlsamen Geist. Nach der fünften Stunde gab sie auf und empfahl uns, einen Psychologen aufzusuchen, da sie ratlos sei und befürchte, Ergotherapie könnte nicht das Richtige für Simon sein. Etwas stimme nicht, etwas Grundlegendes, aber sie könne auch nicht sagen, was es sei.
    Ich war hin- und hergerissen zwischen Wut und Verzweiflung: Wieder gehörten wir nicht dazu, waren die Ausnahme unter den Ausnahmen, bekamen auch noch den Vorwurf zu hören, wir wären uns nicht bewusst, wie ernst die Situation sei. Als ob die Therapeutin die Sache nicht selbst vor kurzem noch hoffnungsvoll eingeschätzt hätte. Und überhaupt: Konnte sie nicht einfach ihre Arbeit tun? Was wusste die denn schon? Heute weiß ich, dass sie letztendlich recht hatte. Aber in jenem Moment war sie für mich nur eine weitere Kandidatin für die lange Liste der Menschen, von denen ich mich im Stich gelassen fühlte.
    Bei unserem nächsten Besuch beim Kinderarzt bekamen wir wieder einen Dämpfer. Simon verweigerte die anstehende Vorsorgeuntersuchung komplett. Er kooperierte nicht, antwortete auf keine Frage und vermied es, den Erläuterungen zu folgen, schweifte mit dem Blick ab. Er befolgte nur Aufforderungen wie die, sich auszuziehen oder zu hüpfen, also solche, die ihn nicht zwangen, mit jemandem zu kommunizieren oder zu interagieren. Bei alldem lachte er viel. Ich bemerkte, wie ansteckend es auf die Ärztin und ihre Helferin wirkte. Sie lachte auch und schien Simon zu mögen, es kam beinahe Stimmung auf. Ich warnte sie, dass sein Lachen nicht »echt« sei, ich wusste inzwischen schon, dass es im Gegenteil oft seine Unsicherheit und regelrechtes Unbehagen kaschierte. Je mehr er lachte, desto unwohler fühlte er sich. Gerade da konnte die Situation jeden Moment kippen. Für andere, die das fröhliche, sonnig-blonde Kind sahen, war das manchmal schwer zu glauben.
    Die Kinderärztin war wahrhaftig keine Ignorantin. Sie hatte schon bei Jonathan ihren weltweisen, ganzheitlichen Blick auf ihre Patienten bewiesen und war für uns so etwas wie Mutter Erde persönlich. Ich erinnere mich noch, wie ich kurz nach Simons Geburt mit Jonathan bei ihr gewesen war, weil der beunruhigenderweise begonnen hatte, vom Sterben zu sprechen. Eines Tages war er plötzlich damit herausgeplatzt: dass er hoffe, einmal sein Leben für uns geben zu können, und dass er außerdem hoffe, dass das bald sein werde. Ab da verlangte er immer öfter zu sterben. Für einen Sechsjährigen waren das alarmierende Äußerungen, auch wenn man mitbedachte, dass eben ein neues Brüderchen angekommen war und vielleicht Eifersucht und der Wunsch nach Aufmerksamkeit eine Rolle spielten. Ich hatte damals versucht, Jonathan seine ihm unerklärliche Traurigkeit so zu erklären, dass es eine Art Wachstumsschmerzen seien. Wachstumsschmerzen gäbe es nämlich nicht nur in den Gelenken, sondern auch in der Seele. Aber ich war mir nicht sicher, ob diese Erklärung ausreichte.
    Frau Flessa sagte dazu nur: »Allerdings, vor allem, wenn man viel Seele besitzt.« Dann

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