Ich mag dich wie du bist
sieht uns an, tut so, als würde er uns zuprosten und sagt »cin cin«. Martina lächelt erst, dann lacht sie laut, mit ein wenig Verzögerung.
Nun ist der Augenblick für die üblichen Fragen gekommen, also die wirklich ernst gemeinten Fragen.
»Jetzt sag schon, wie geht es dir?«
»Mir geht es ganz gut, na ja, es macht mir schon was aus, aber ich hab jetzt keine Depressionen oder so was … Was soll’s. Ich wiederhol das Jahr eben und Schluss. Aber meine Mutter, die ist total depri. Die packt das nicht.«
»Was packt sie nicht?«
Luca ist einer der wenigen Jungs, die ich kenne, die fast nichts von dem verstehen, was in den Nachrichten »Jugendsprache« heißt: »Die packt es nicht«, »Da flippst du total aus«, »Ich bin total depri«, so was in der Art. Nicht dass mir das wirklich wichtig ist, aber diese Ausdrücke benutzt doch jeder mal. Jeder außer Luca.
»Die packt es nicht, also sie kann sich nicht damit abfinden. Und dann muss sie sich noch mit meinem Vater rumstreiten, weil der stinkwütend ist und außerdem meiner Mutter die Schuld gibt, da sie mir angeblich zu viele Freiheiten lässt und ich nur deswegen nicht lerne und nicht versetzt worden bin.«
»Na gut, also … wann fährst du?«, fragt er und wird einen Augenblick lang schrecklich ernst.
»Morgen früh, hab ich dir doch gesagt.«
»Fahr nicht.«
»Ich hab keine Wahl. Komm mich besuchen.«
»Ich werde nicht kommen, das weißt du genau.«
Auf dem Heimweg versuche ich, langsamer in die Pedale zu treten, und sehe mich um, bleibe mit den Augen an Häusern hängen, an Eingängen, Schaufenstern von geschlossenen Geschäften. Ich versuche mir eine Ausrede zu überlegen, um nicht mitfahren zu müssen. Ich denke an Luca. Luca ist der typische Junge, der nie ernst bleiben kann. Nicht, dass er nicht zuhört, wenn man ihm was Ernstes erzählt (also so was wie, dass man sitzen geblieben ist, um ein Beispiel aus meinem näheren Erfahrungsschatz zu nennen), aber mit ihm sieht man dann immer die komische Seite daran.
Mein Vater sitzt immer noch auf dem Sofa vor dem Fernseher, aber die Koffer sind jetzt alle geschlossen und stehen neben der Tür. Ich gehe in mein Zimmer, schalte den Computer ein und mache den Messenger auf, um zu sehen, ob jemand online ist. Kein Mensch da. Ich nehme mein Foto raus und ersetze es durch ein Bild der Simpsons in Badekleidung. Es geht los.
Fünf
Das Auto ist vollkommen überladen. Der Kofferraum platzt aus allen Nähten und auf dem Dach hat mein Vater eine Art Sarg befestigt, um alles unterzubringen, was nicht mehr ins Auto passte. Die Fahrt nach Apulien ist lang. Wir lassen die Stadt hinter uns und nehmen die Autobahn Richtung Bologna. Zum Abendessen müssten wir eigentlich da sein. Federico ist übergangslos vom Bett auf den Rücksitz des Wagens gewechselt. Er muss ja auch an nichts denken, sich keine Sorgen machen. Er muss nicht die Klasse wiederholen.
Er schläft und hat sein Sweatshirt als Polster zwischen sich und das Autofenster gelegt. Die Sonne muss vor etwa einer Stunde aufgegangen sein, und schon jetzt spürt man ihre Wärme durch die Seitenfenster. Ein Sonnenstrahl fällt genau auf Federicos Gesicht. Im Schlaf versucht er, sich die Augen zu bedecken und murmelt etwas Unverständliches. Ein paar Minuten kämpft er gegen den Sonnenstrahl, bis er sich plötzlich genervt herumwirft und mit heruntergesunkenem Kopf und geöffnetem Mund liegen bleibt.
Ein schauriger Anblick.
Bis vor ein paar Jahren war alles, was Fede tat, einfach nur süß und komisch. Doch dann ist ihm plötzlich das Kindchenschema abhandengekommen und er ist in diese »Hobbit-Phase« übergewechselt, das bedeutet: kieksende Jungsstimme, Muskelwachstum und einsetzende Körperbehaarung, aber obendrauf ein Kinderkopf. Ich kann nicht widerstehen. Ohne ihn zu wecken, bewege ich seinen Kopf, bis er auf meinen Beinen liegt, geschützt vor den Sonnenstrahlen. Die Erleichterung ist ihm anzusehen: Er führt die Hände ans Gesicht, reibt sich die Augen, dann lässt er die Rechte vom Sitz herunterhängen, während er die Linke auf meinem Bauch zusammenrollt.
An seinen Fingern klebt getrocknete Farbe, es sieht aus, als wären die Flecken schon mehrere Tage alt und nicht mehr wegzukriegen.
Als wir ungefähr auf der Höhe von Bologna sind, beschließt mein Vater, dass es Zeit für eine Pause ist. Fede hat die ganze Zeit über geschlafen, während ich mir ständig stumm folgende Sätze vorsage:
»Du bist wirklich eine blöde Kuh, hättest du dich nicht
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