Ich muss dir etwas sagen
verschlechtern sollte. Wenn die Wahrheit
niemandem nützt und allen Beteiligten ein ungutes Gefühl
vermittelt, weshalb sollte man sie dann sagen - etwa um
irgendein abstraktes Prinzip zu erfüllen? Sie würden
beispielsweise niemals einem älteren Familienmitglied sagen, wie schön sie früher war und wie häßlich sie heute aussieht.
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Vielleicht ist es wahr, aber eine solche Bemerkung würde nicht nur verletzen, sie würde auch niemanden weiterbringen.
Wir sind uns also einig: Die Entscheidung, ob man etwas sagt oder nicht, hängt damit zusammen, ob es sich positiv auswirkt.
Wenn es wirklich nützt, sollte man darüber sprechen, und wenn nicht, sollte man Stillschweigen bewahren. An dieser Stelle kann man dennoch leicht in Schwierigkeiten geraten: Man kann nämlich überzeugt sein, es gäbe einen Nutzen, obwohl es gar keinen gibt und umgekehrt.
Es ist also unerläßlich, einen eventuellen Nutzen zu erkennen und unrealistische Erwartungen abzulegen. Ich will anhand einer Geschichte versuchen, diese beiden Aspekte herauszuarbeiten.
Die Geschichte von John und Linda
Solche Situationen sind uns allen gut bekannt: John und Linda kannten sich seit sieben Jahren durch und durch, und so hatte sich ihre Beziehung durch alltäglichen Streß und zahllose kleine Ärgernisse des Alltags abgeschliffen. Es herrschte ein Abstand zwischen ihnen, mit dem beide sich nicht wohl fühlten. Das war schade, denn ihre ersten gemeinsamen Jahre beim Peace Corps in Bolivien waren wundervoll gewesen. Und sie liebten sich immer noch sehr.
John arbeitete inzwischen als Anwalt für die Stadt und Linda in der Finanzabteilung einer Baufirma. Pierce, ein Architekt und Kollege Lindas, hatte ein Auge auf sie geworfen, und Linda entmutigte ihn nicht. Schließlich ging Linda mit Pierce in ein Hotel, obwohl ihr dabei mulmig zumute war. Sie schliefen
miteinander - keine angenehme Erfahrung für sie -, und Linda sagte anschließend, dies sei das erste und letzte Mal gewesen.
Das bereitete der Beziehung zu Pierce allerdings kein Ende, im Gegenteil. Sie entwickelten ein sehr enges und romantisches, doch platonisches Verhältnis. Pierce wollte zwar auch weiterhin mit Linda schlafen, aber sie lehnte das ab.
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Eines Tages traf Linda sich zum Mittagessen mit einer
Freundin, die heiraten wollte. Als diese ihr erzählte, worauf sie sich freute, wurde Linda bewußt, wie sehr sie die guten Aspekte der Ehe mit Pierce auslebte, während sie die schlechten für ihren Ehemann aufbewahrte. Ihr wurde klar, wie dumm und destruktiv das war. Was aber sollte sie tun? Sollte sie John von Pierce erzählen?
Linda handelte immer recht strukturiert und machte daher eine Liste aller Konsequenzen, die Sie sich von einem Geständnis erhoffte. Dabei schälten sich zwei Aspekte als besonders
erstrebenswert heraus. Zum einen kämen sie sich endlich wieder näher, und zum anderen würde John endlich von ihrem
Verhältnis zu Pierce erfahren.
Ein Jahr nach ihrer Beichte - nachdem beide genügend Zeit
gehabt hatten, die Auswirkungen des Geständnisses zu
verarbeiten - sagte Linda mir, daß ich die Leser meines Buches unbedingt auf einige Vorteile hinweisen solle, die sie übersehen hatte, und auf eine Reihe unrealistischer Erwartungen, mit der sie an das Ganze herangegangen war:
Einige Vorteile von Geständnissen, die oft übersehen werden Nähe
Ein bekanntes psychologisches Prinzip lautet: Gefühle folgen unserem Handeln. Wenn man einem nahestehenden Menschen
etwas verschweigt, hält man ihn damit auf Distanz. Im
umgekehrten Fall, wenn beiden Seiten eventuell unangenehme Wahrheiten bekannt sind, fühlt man sich einander näher. Und das beschränkt sich nicht nur auf persönliche Beziehungen.
Auch Geschäftsbeziehungen können distanziert und kühl sein, und man kann mehr Nähe erzeugen, indem man persönliche
Dinge enthüllt.
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Die Beziehung funktioniert besser
Beziehungen nähren sich auch von Informationen.
Stillschweigen, Geheimhaltung und Lügen haben ähnliche
Folgen wie eine blockierte Benzinzufuhr bei einem Motor.
Wenn die Wahrheit ans Licht kommt, enthält sie oftmals
wesentliche Anhaltspunkte, wie die Beziehung besser
funktionieren könnte. So enthielt Lindas Geständnis auch ein Bedürfnis nach Wärme und Aufmerksamkeit, das Pierce in
gewisser Weise befriedigt hatte. Als sie John die Geschichte erzählte, konnte sie ihm auch zeigen, wie wichtig ihr diese Bedürfnisse waren und ihn zugleich darauf hinweisen, daß die Gefahr
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