Ich muss Sie küssen, Miss Dove
Mylord."
Er hatte mit einem Ja gerechnet und blieb nun neben ihrem Schreibtisch stehen. „Warum nicht?"
„Ich habe bei Mr. Hallidays Anwälten, Ledbetter & Ghent, angerufen und nachgefragt. Offenbar hat es da ein kleines Durcheinander gegeben."
„Ein Durcheinander?" Er zog erstaunt eine Augenbraue hoch. „Lag das etwa an Ihnen, Miss Dove? Wunder über Wunder!"
Sie sah ein wenig gekränkt aus. „Nein, Mylord."
Eigentlich hätte er sich das denken können. Bei Miss Dove gab es niemals ein Durcheinander. „Natürlich nicht, verzeihen Sie mir. Was ist geschehen?"
„Mr. Ledbetter wollte es mir nicht sagen, aber man hat mir versichert, dass die Verträge morgen in einer Woche hier eintreffen. Ich werde sie am Wochenende auf Fehler überprüfen, dann können Sie sie am darauffolgenden Montag unterzeichnen. An dem Tag sind Sie und Ihre Familie zum Wasserfest des Earl of Rathbourne eingeladen, aber vorher könnten Sie hier vorbeikommen. Soll ich die Termine in Ihren Notizkalender eintragen, Mylord?" Sie streckte die Hand aus.
Harry zog das kleine Lederbüchlein aus der Tasche und reichte es ihr.
Als sie fertig geschrieben hatte, gab sie es ihm zurück. „Sobald Sie die Verträge unterschrieben haben", fuhr sie fort, „kann ein Laufbursche von Ledbetter & Ghent sie hier abholen, und Sie haben mehr als genug Zeit, um zum Adelphi Pier zu fahren und dort an Bord von Lord Rathbournes Yacht zu gehen." Sie griff nach einem Stapel von Papieren. „Hier sind Ihre anderen Mitteilungen."
„Sie sind ein Vorbild an Tüchtigkeit, Miss Dove", murmelte Harry, als er die Schriftstücke entgegennahm.
„Vielen Dank, Mylord." Sie holte tief Luft und zeigte auf den Papierstapel neben ihrer Schreibmaschine. „Ich habe ein neues Manuskript geschrieben. Wenn Sie einen Augenblick Zeit hätten ..."
„Ich fürchte, nein", konnte er ihr zu seiner Erleichterung mitteilen. Er überflog die Mitteilungen. „Ich muss heute Abend in die Oper, und ich bin ohnehin schon spät dran. Grandma wird mich erschießen, wenn sie meinetwegen die Ouvertüre verpassen, und das auch noch an Phoebes Geburtstag. Was ist das denn?" Er starrte auf den Zettel, der jetzt ganz oben auf dem Stapel in seiner Hand lag. „Juliette war hier? Warum denn das?"
Emma, die jede Einzelheit von Juliettes Besuch notiert hatte, antwortete nicht, weil sie zu Recht vermutete, dass das seine Frage rein rhetorischer Natur gewesen war.
„Hm", machte er beim Lesen. „Sie war unzufrieden mit dem Geschenk, nicht wahr?"
„Es tut mir aufrichtig leid, Mylord. Ich hielt ein Topascollier mit Diamanten für passend, aber sie war wohl anderer Meinung."
„Ich habe keine Zeit für die Einzelheiten, und es ist mir völlig egal, ob ihr das verdammte Ding nun gefallen hat oder nicht." Er zerknüllte den Zettel und warf ihn auf den Boden. Sollte Juliette doch von jetzt an mit ihren gierigen kleinen Händen nach den Geschenken eines anderen Mannes greifen. Die einzigen Frauen, auf deren Meinung Harry wirklich Wert legte, gehörten seiner Familie an. „Rufen Sie doch bitte bei mir zu Hause an, Miss Dove, und sagen Sie meiner Mutter, dass ich nicht mehr die Zeit habe, sie vom Hanover Square abzuholen. Sie soll die Kutsche nehmen, wir treffen uns dann vor dem Covent Garden."
„Das habe ich bereits getan, Mylord." Emma kam um ihren Schreibtisch herum, sammelte die von Harry aussortierten Mitteilungen vom Boden auf und verstaute sie ordentlich im Papierkorb, ehe sie sich wieder setzte. „Ich wollte mich erkundigen, ob Sie schon zu Hause angekommen wären, weil Sie hier nicht erschienen waren, um Lady Phoebes Geschenk abzuholen. Ihr Butler teilte mir mit, dass Ihre Großmutter, Ihre Mutter und Ihre Schwestern bereits ohne Sie vorgefahren sind."
„Hatten die Hoffnung wohl aufgegeben, wie?"
Taktvoll wie immer, gab Emma darauf keine Antwort. Sie fing wieder an zu tippen, und Harry begab sich in sein Büro, eine einst karge Räumlichkeit, die Emma vor ein paar Jahren etwas hergerichtet hatte. Er billigte zwar ihren Geschmack, aber befand sich nie lange genug in dem Raum, um ihre Bemühungen wertschätzen zu können. Wie Harry genau wusste, verdiente man Geld nicht am Schreibtisch sitzend, auch nicht, wenn dieser Schreibtisch aus kunstvoll geschnitztem Mahagoni war.
Er warf die übrig gebliebenen Mitteilungen auf einen Stuhl und trat in das an sein Büro angrenzende Ankleidezimmer. Da sich seine Londoner Residenz am anderen Ende der Stadt befand, sorgten sein Butler und Emma dafür,
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