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Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Titel: Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Babak Rafati
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anschaue. Termin auf Termin, überlappend, ohne Pause. Selbst in der Mittagspause organisierte ich meine Reisen zu den Spielen und erledigte andere administrative Aufgaben, während meine Arbeitskollegen sich gemütlich zum Essen oder einem Eis verabredeten. Ich erinnere mich, wie Freunde und Kollegen wiederholt fragten, wie ich diese Doppelbelastung zeitlich bewältigen würde. Die Antwort ist schlicht: gar nicht. Es blieb viel auf der Strecke, fiel einfach unter den Tisch. Warum ich trotzdem funktionierte? Weil ich als Treibmittel für dieses Turboleben sehr viel Anerkennung bekam, die mir Energie und unendliches Durchhaltevermögen zu verleihen schien. Ich brauchte kaum noch Schlaf. Dachte ich zumindest. Nach dem Adrenalin-Peak eines Bundesligaspiels kam ich sowieso ganz schwer zur Ruhe. Und war am nächsten Morgen nach ein, zwei unruhigen Stunden Schlaf trotzdem wieder fit. Ich war austrainiert. Kein Alkohol. Keine Zigaretten. Und jeden Tag Sport. Mein Körper schien unendlich belastbar. Es war wie ein Rausch, weiter, höher, schneller. Und abends sahen mich alle in der Sportschau oder bei den Spielen auf Sky. Ich wurde prominent.
    Die Nachbarn, Arbeitskollegen und Freunde beneiden einen, dass man in großen Fußballstadien mit unseren Bundesligastars oder sogar unerreichbaren Fußballikonen wie zum Beispiel Messi, Ronaldo, Xavi ins Stadion läuft, sie hautnah beim Spielen erleben, sogar mit ihnen sprechen kann. Die Anstrengungen sieht niemand. Wenn ich wirklich mal Zeit fand, zwischen Lauftraining, Sportklamotten waschen, Kleidung wechseln und beruflichen Terminen abends zu Hause auf dem Sofa zu liegen, dann lief der Flatscreen und ich zog mir Videoanalysen oder aktuelle Fußballspiele und Sportsendungen rein. Es gab für mich nur Fußball, Training, die Bank und Fußball. Mir schien nichts zu fehlen.
    Dass ich schleichend einsamer wurde, Freunde sich immer seltener meldeten oder bei Anrufen beleidigt sagten: »Ach, hört man auch mal wieder was von dir?«, löste bei mir Unverständnis aus. Ich spürte die mehr und mehr auftretenden Defizite ja gar nicht. Die vielen internationalen Begegnungen mit spannenden Menschen aller Nationalitäten, für die ich dem DFB heute noch dankbar bin, versetzten mich in eine Art Hochstimmung. Ich fühlte mich nie einsam, es war immer etwas los. Es ging beruflich und sportlich nur in eine Richtung: immer weiter bergauf und mit einer ungeheuren Dynamik. Ich war unterwegs. Auch geistig fühlte ich mich ständig gefordert und erfüllt von den vielen unterschiedlichen Eindrücken. Einer der stärksten davon ist und bleibt eben, in einem mit zehntausenden Menschen vollbesetzten Stadion zu stehen und ein Fußballspiel zu leiten. Ich war Schiedsrichter aus Leidenschaft für diesen Sport.
    # # # 19.11.2011, 3:00 Uhr # # #
    Die Uhr pulste mir zu, dass es jetzt schon drei Uhr morgens war. Ich sah rechts von mir die großen Binnenfrachter über den Rhein flussabwärts Richtung Meer fahren und spürte die Sehnsucht nach einer langen Reise, raus aus diesem stickigen Zimmer, den Kopf wieder freibekommen. Endlich in Ruhe nachdenken. Lösungen finden. Wie glücklich war ich vor zwei Jahren noch gewesen! Wie sehr hatte ich diese Zeit genossen! Und jetzt dieser Absturz! Wie hatte das nur geschehen können? Ich starrte auf meine große schwarze Adidas-Sporttasche mit den DFB-Utensilien in der Mitte des Zimmers …
    Meine Tasche war immer das Symbol meiner Reisen gewesen. In Hannover erkannten mich viele an meiner Tasche, wenn ich auf dem Weg zum Zug war. »Hallo, Herr Rafati, wo sehen wir Sie heute Abend im Fernsehen?« Das Packen war mein Ritual, es folgte immer derselben Liste: Zwei paar Fußballschuhe mit Stollen für einen nassen Rasen und Noppen für trockenen Rasen, für entsprechend guten Halt. Acht Trikots, vier kurzärmelige und vier langärmelige Hemden in verschiedenen Farben. Abhängig vom Wetter Lang- oder Kurzarm, in verschiedenen Farben, um sich von den Mannschaften farblich zu unterscheiden. Kurze Hose, ein paar Stutzen, Socken, Unterwäsche, Equipment für das Verständigen auf dem Platz, nämlich das Headset zum Kommunizieren via Sprechfunk und die Funkfahnen für die Assistenten (früher: Linienrichter) mit der Alarmmanschette, Ausweise, Schiedsrichterformulare, gelbe und rote Karten sowie meine Schiedsrichterpfeife Typ Fox 40 classic, die erste Pfeife ohne Kugel, 115 Dezibel, extrem schriller, stabil durchdringender Ton, ein Notizblock, eine Wählmarke zum Losen der Seite,

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