Ich schreib dir morgen wieder
würde – sie könnten einfach direkt ranfahren oder den Hügel von den zweistöckigen offenen Bussen ablichten, die mit hundertzwanzig Stundenkilometern über die Autobahn brettern. Eigentlich war das ironisch gemeint, aber unsere Aushilfslehrerin tickte völlig aus, weil sie dachte, es wäre mein Ernst, und sie gehörte zu einer Bürgerinitiative, die den Bau der Straße verhindern will. Es ist so leicht, Aushilfslehrer an den Rand des Nervenzusammenbruchs zu bringen. Vor allem diejenigen, die glauben, sie könnten den Schülern etwas Gutes tun. Ich hab euch ja gesagt – ich war ziemlich eklig.
Nach dem normannischen Psycho lebten verschiedene Lords und Ladys in dem Schloss, die alle irgendwelche Ställe und Nebengebäude anbauen ließen. Ein Lord konvertierte sogar zum Katholizismus, nachdem er eine katholische Frau geheiratet hatte, was sehr kontroverse Reaktionen hervorrief. Als besonderes Geschenk für die Familie ließ er eine Kapelle bauen. Ich und Mum haben als besonderes Geschenk einen Swimmingpool bekommen – aber jedem das Seine. Das Grundstück ist von einer sogenannten Hungermauer umgeben, einem Projekt, das den Menschen während der Großen Hungersnot Arbeit verschaffen sollte. Die Mauer verläuft direkt neben Arthur und Rosaleens Garten und Haus, und ich bekomme jedes Mal eine Gänsehaut, wenn ich sie ansehe. Wäre Rosaleen jemals bei uns zum Essen zu Gast gewesen, hätte sie wahrscheinlich auch gleich so eine Mauer um uns herum bauen lassen, denn wir essen nichts Kohlehydratreiches. Jedenfalls haben wir das früher nicht getan, aber jetzt stopfe ich so viel in mich hinein, dass ich locker alle Fabriken, die geschlossen werden, mit Energie versorgen könnte.
Bis etwa 1920 lebten weiterhin Abkömmlinge der Kilsaneys im Schloss, aber dann bekamen ein paar Brandstifter aus irgendwelchen Gründen nicht mit, dass die Bewohner Katholiken waren, und zündeten ihnen das Dach über dem Kopf an. Danach war nur noch ein kleiner Teil des Schlosses bewohnbar, denn es war nicht genug Geld vorhanden, um alles zu reparieren und zu beheizen, und so wurde das Gebäude in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts schließlich verlassen. Keine Ahnung, wem es inzwischen gehört, aber es ist ziemlich verfallen: kein Dach, eingestürzte Mauern, keine Treppen, ihr könnt es euch in etwa vorstellen. In der Ruine wächst alles Mögliche, und jede Menge Lebewesen huschen darin herum. Das habe ich während eines Schulprojekts selbst recherchiert. Mum hatte nämlich angeregt, ich könnte doch ein Wochenende bei Rosaleen und Arthur verbringen und ein bisschen Forschung betreiben. An diesem Tag hatten sie und Dad den größten Krach, den ich jemals gesehen oder gehört habe. Als Mum vorschlug, ich könnte wegfahren, ging Dad total an die Decke, und da ich es ohnehin für meine Tochterpflicht hielt, ihm das Leben zur Hölle zu machen, war ich nur allzu gern bereit, zu Diensten zu sein. Ehrlich gesagt war die Atmosphäre so schrecklich, dass ich froh war, abhauen zu können. Aber kaum war ich fort, hatte ich eigentlich überhaupt keine Lust mehr, mich umzuschauen und die Geschichte des Anwesens zu erforschen. Ich überstand mit Müh und Not den Lunch bei Rosaleen und Arthur, dann zog ich mich aufs Klo zurück und rief meine philippinische Kinderfrau Mae an – die wir inzwischen übrigens entlassen und heimschicken mussten –, damit sie mich abholte. Rosaleen erzählte ich, ich hätte Magenkrämpfe, und versuchte, nicht zu lachen, als sie mich fragte, ob ich glaubte, dass es von ihrem Apfelkuchen kam.
Am Schluss schrieb ich dann aus dem Internet einen Artikel über das Schloss ab. Prompt wurde ich zur Direktorin gerufen, und sie gab mir wegen Plagiats null Punkte für die Arbeit, was vollkommen lächerlich war, denn Zoey hatte komplett alles über Malahide Castle aus dem Internet kopiert und lediglich ein paar Wörter und Daten verändert – teilweise sogar falsch –, damit es authentischer wirkte, und bekam trotzdem eine bessere Note als ich. Wo bleibt da die Gerechtigkeit?
Das Schloss ist umgeben von gut vierzig Hektar Land, um die Arthur sich kümmert. Bei so einem riesigen Grundstück ist er natürlich schon frühmorgens auf den Beinen, kommt aber Schlag halb sechs zurück, so verdreckt wie aus dem Kohlebergwerk. Aber er beklagt sich nie, jammert auch nicht übers Wetter, nein, er steht einfach nur auf, isst sein Frühstück, bei dem er sich mit dem Radio die Ohren betäubt, und geht dann an die Arbeit.
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