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Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)

Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)

Titel: Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eveline Hall , Hiltud Bontrup , Kirsten Gleinig
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anderen lebten, was sie besaßen, wie es dort roch. Einmal entdeckte ich in einem Nachbarhaus eine Badewanne, die wohl alle Hausbewohner benutzten. Ich war ganz gebannt von dem Anblick, denn ich selbst wurde ja nur in einer Schüssel gewaschen. Eine Badewanne – das war etwas ganz Besonderes zu diesen Zeiten, der pure Luxus, die musste man sich leisten können. Diese Entdeckung beeindruckte mich so tief, dass ich noch heute einen Wannentick habe. Nichts geht über ein schönes heißes Bad. Und wenn ich ausgestreckt im Wasser liege, denke ich an meine Ausflüge ins Nachbarhaus zurück.
    Langweilig wurde mir nie auf meinen Erkundungstouren. Die Neugier trieb mich an und ich genügte mir selbst vollkommen. Spielsachen interessierten mich nicht. Und auch wenn ich welche hatte, konnte ich damit nichts anfangen. Einmal schenkten meine Eltern mir unter großen Opfern eine Puppe, und mein Bruder und ich rissen so lange daran, bis sie kaputt war. Ich war in dieser Hinsicht ein altes Kind: Ich wollte mich mit nichts anfreunden, ich brauchte niemanden. Ich konnte allein sein, vom ersten Tag an. Meine Mutter erzählt noch immer, dass sie mich als Baby in Greifswald bei schönem Wetter zum Schlafen auf den Balkon stellte und dass ich nie schrie. Wenn sie nach mir schaute, strahlte ich sie mit großen blauen Augen an. Ich war schon damals ein Kind, das nichts brauchte. Ich war ein einsames, glückliches Kind.
    Dass ich trotz der schweren Nachkriegsjahre so aufwachsen konnte, verdanke ich meinen Eltern. Sie schafften es, dass ich mich behütet und versorgt fühlte, obwohl mein Vater zu dieser Zeit kein festes Einkommen hatte. Aber Papa war ein Macher. Er trieb alles auf, was wir brauchten, beschaffte auch Geld, keiner wusste wie. »Er schneidet das Geld aus den Wänden«, sagte ein alter Freund meiner Eltern einmal – ein Satz, der zum geflügelten Wort in unserer Familie wurde. Mit seinem besonderen Wesen passte mein Vater perfekt ins Theatermilieu. Alle dort fühlten sich instinktiv miteinander verbunden und halfen sich gegenseitig, wo immer sie konnten: Der eine hatte Zigaretten zu bieten, dafür bekam er etwas zu essen. Ein anderer tauschte Theaterkarten gegen Brot. Das war genau das Richtige für Papa. Er wusste immer genau, wen er am besten einschalten musste. So lebten meine Eltern in und von der Theaterwelt. Schon im Krieg, als die Bomben auf Berlin fielen, war das Theater am Nollendorfplatz ihr Zufluchtsort. Die gepackten Koffer standen immer griffbereit, und wenn die Sirenen heulten, liefen sie mit Schiepchen auf dem Arm hinüber und flüchteten mit den anderen in den Keller. Dort gab es alles, was sie brauchten. Michael, der noch ein Baby war, bekam sofort seine Milch. Alle sorgten füreinander.
    Der gute Riecher meines Vaters hatte meinen Eltern schon vorher genützt: Nach ihrer Hochzeit fuhren sie 1942 nach Italien, mitten im Krieg, als niemand eine solche Reise unternahm. Mein Vater gehörte damals zu einem Künstlerklub, der von den Nazis geduldet wurde. Er selbst war kein Nazi und nie in der Partei, aber er wusste immer, wo er sich blicken lassen musste, was er sagen durfte und was er sich besser verkniff. Er konnte gut manövrieren in diesen Zeiten, in denen das überlebenswichtig war. Und so nutzte er seine Beziehungen, um eine Hochzeitsreise einzufädeln: nach Malcesine am Gardasee. Noch gab es dort keine Touristen und meine Eltern erlebten Italien ganz ursprünglich. Auf den alten Fotos strahlen sie vor lauter Glück wie Kinder. Papa ließ sich einen Anzug schneidern, sie kauften Stoffe und eine Riesensalami. Doch auf der Rückreise an der Grenze nahm der Zoll ihnen alles wieder ab. Nur die schönen Erinnerungen an diese drei Wochen, die durften sie behalten.
    Auch zu den Festtagen schaffte mein Vater es jedes Mal, Dinge aufzutreiben, für die wir eigentlich kein Geld hatten. Obwohl er nichts verdiente, zauberte er irgendwo Geschenke her. Keiner wusste, wie er das machte. Einmal bekam ich einen Puppenwagen zu Weihnachten, einen gebrauchten, den Papa irgendwo organisiert hatte. Ich spielte zwar nicht mit Puppen, aber von diesem Ding war ich begeistert. Damit konnte ich etwas anfangen. Es hatte ja Räder und ließ sich durch die Gegend schieben, die Straße runter bis zur alten Apotheke an der Ecke und wieder zurück. Es war mir auch völlig egal, ob was darin lag. Ich gurkte mit dem Wagen durchs ganze Viertel und war in meinem Element.
    Erst als ich älter wurde, begriff ich, dass meine Eltern damals für uns

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