Ich träume deutsch
sich in die Eingangstür und begrüßte ihn ganz höflich mit einem Nicken.
Als Herr Schäufele wieder einmal mit schnellen Schritten auf dem Heimweg war, stolperte er plötzlich, schrie und fiel mitsamt seinen Akten auf den Boden. Mine, Paola und ich standen da und keiner traute sich auch nur ein Wort zu sagen. Aber dann stürzte ich los, sammelte die umherliegenden Akten ein, nahm die Tasche von Herrn Schäufele, legte sie unter seinen Kopf und rannte weg. Ich klingelte bei Frau Schäufele und rief gleichzeitig um Hilfe. Sie sah aus dem Fenster, und als sie ihren Mann auf der Straße liegen sah, eilte sie weinend heraus.
Frau Schäufele hockte nur da und tat gar nichts, außer dass sie ganz schlimm weinte. Wir hatten zu Hause ein rotes Kästchen, in dem Pflaster, Verband und eine Telefonnummer war, die wir in Notfällen anrufen sollten. Ich war zwar erst fünfeinhalb, konnte aber trotzdem lesen.
Ich schnappte den Kasten und klopfte bei unserer Nachbarin, da sie die Einzige im Haus war, die ein Telefon besaß. |17| Ich erzählte ihr, was passiert war, und sie rief sofort einen Krankenwagen. Dann rannte ich wieder zu Herrn Schäufele, der immer noch wie tot auf dem Boden lag. Ich gab seiner Frau den Verbandskasten und hoffte, dass sie endlich etwas unternehmen würde. Sie sah mich nur an und weinte weiter. Kurz darauf hörten wir die Sirene vom Krankenwagen.
Zwei dicke Männer stiegen aus, legten Herrn Schäufele auf eine Liege und setzten ihm eine Maske auf den Mund.
„Wollen Sie mitkommen?“, fragte der eine Mann, während er die Liege in den Wagen schob. Frau Schäufele schüttelte nur den Kopf und legte ihren Arm um Helene.
Frau Schäufele stützte sich auch auf meine Schulter, während sie zum Haus zurückging, und zum ersten Mal durfte ich ein deutsches Haus betreten.
Die Treppen waren bedeckt mit einem blauen Teppich. Der Boden war so weich wie unser Bett. An der Wand hingen getrocknete Blumen und wunderschöne Bilder von Bergen und grünen Wiesen.
Helene und ihre Mama schluchzten ganz fürchterlich.
„Ihr müsst nicht weinen. Dein Papa ist nicht tot, und er wird bald wieder nach Hause kommen!“ Ich versuchte, die beiden zu trösten.
Frau Schäufele nahm meine Hand und stammelte: „Aber was sollen wir denn jetzt tun?“
„Sie müssen zu Ihrem Mann in die Klinik gehen. Das hat meine Anne auch gemacht, als Baba einen Unfall hatte.“
„Und was ist mit Helene?“
Ich richtete mich auf und sagte: „Machen Sie sich keine Sorgen. Ich bleibe bei Helene und wir warten, bis Sie wieder zurückkommen.“
Frau Schäufele nahm ihre Handtasche, zog ihre grüne Strickjacke an und verließ immer noch weinend das Haus. |18| Ich nahm Helene an der Hand und wir gingen ins Wohnzimmer. Ich war glücklich und sehr stolz auf mich!
Das war die Chance, endlich bei Helene zu sein und dieses schöne Haus von innen zu sehen. Ich wollte alle Räume anschauen, bevor Helenes Eltern wieder zurückkamen. Ich lief durch das Haus und konnte es kaum fassen. Ich dachte, wenn unser Haus so groß und so schön wäre, hätten wir sicher all unsere Verwandten aus Istanbul und Ostanatolien zu uns eingeladen. Dann wäre meine Anne bestimmt nicht so oft traurig und hätte auch kein Heimweh mehr.
Im Wohnzimmer standen außer einem großen Schrank eine braune Couch und ein großer Tisch aus Holz. Schäufeles hatten natürlich auch einen Fernseher und einen großen schwarzen Sessel, der davor stand.
„Da dürfen wir nicht sitzen, der Sessel gehört meinem Papa“, sagte Helene ganz leise und nahm mich an der Hand.
„Wie? Dein Papa hat einen eigenen Sessel? Und du? Hast du auch einen eigenen Sessel?“
„Ja, komm, ich zeig dir mein Zimmer“, sagte Helene. Sie hatte ein eigenes Zimmer, ganz für sich alleine! Mein Herz schlug bis zum Hals und ich war sehr aufgeregt. Es war ein Prinzessinnenzimmer. Auf ihrem kleinen Bett saßen ganz viele Puppen und Stofftiere. Der Tisch und ihr Stuhl waren rosa und an den Wänden hingen Poster von Tierbabys.
„Mit dieser Puppenstube hat schon meine Mama gespielt, aber ich darf sie nur anschauen. Erst wenn ich groß bin, darf ich damit spielen“, sagte Helene und nahm die weiße Tülldecke ab. Noch nie in meinem Leben hatte ich etwas so Schönes gesehen.
Kleine Schränkchen, Stühle, Tische, einen Schaukelstuhl, eine Badewanne und sogar einen Küchenherd gab es in der Puppenstube.
|19| Ich wollte unbedingt und sofort damit spielen und dieses kleine Stühlchen nur ein Mal in der Hand
Weitere Kostenlose Bücher