Ich träume deutsch
eifersüchtig!“, sagte ich und trippelte weiter wie ein Mannequin vor Mine herum.
Mein Stolz und meine Freude sollten jedoch auch nicht von Dauer sein. Meine Röcke und Kleider wurden auf einmal länger. Der Inhalt meiner Schultasche wurde fast täglich von Anne kontrolliert. Ich durfte auf der Straße keinen Lolli mehr lutschen, nicht laut lachen, keinen roten Nagellack mehr tragen, und ich musste mich sogar anders hinsetzen, wenn ich einen Rock trug. Alles hatte sich durch meinen Kopfstand verändert.
Aber im Gegensatz zu meiner Schwester hatte ich noch einige Freiheiten, mit denen ich auch sehr vorsichtig umging.
Ich durfte meine Schulfreundinnen für einige Stunden besuchen, um mit ihnen zu lernen. Meine Mutter holte mich natürlich ab und warf immer einen Blick ins Wohnzimmer, um zu sehen, ob meine Freundinnen einen Bruder hatten, vor dem sie mich beschützen musste. Durch meine guten Noten in der Schule hatte ich meine Mutter auf meiner Seite. Wenn mein Vater wieder mal der Meinung war, dass Anne mir zuviel Freiheiten zugestand, sagte Anne immer: „Mach dir da mal keine Sorgen. Nilgün hat nur ihre Schule im Kopf und nicht so dummen Sachen wie Mine!“
|158| Meine Schwester musste die Klasse bereits zum zweiten Mal wiederholen und hatte auch nichts getan, das zu verhindern. Mine lebte in ihrer eigenen Welt. Leider gab es diese Welt für türkische Mädchen nicht.
Mine hielt sich an keine Verbote und durch das Fehlverhalten meiner Schwester lernte ich, mit den Verboten besser umzugehen.
Jedes Wort, jedes Verhalten von mir war so überlegt und strategisch so gut durchdacht, dass mir vieles erlaubt wurde. Natürlich geschah das immer unter dem Vorwand, etwas für die Schule zu tun.
Frauen haben keinen Namen
Unsere Eltern stritten sich zwar nicht mehr so häufig, aber glücklich waren sie nicht. Mein Vater gab sich Mühe, in unserer Familie anwesend zu sein, aber nur, weil er sich vor den depressiven Phasen meiner Mutter fürchtete.
Birsen Teyze wurde die beste Freundin von unserer Mutter, und wir freuten uns immer auf ihren Besuch. Birsen Teyze war inzwischen die lustigste türkische Frau, die ich kannte, und Anne sagte immer, ohne einen Mann habe man wenigstens noch etwas zu lachen im Leben.
Ja, Birsen Teyze war insgeheim ein Stück Freiheit, Traum und Hoffnung für die meisten türkischen Frauen in unserem Freundeskreis.
Birsen Teyze mochte die Erziehungsmethoden unserer Eltern und anderer Türken nicht: „Ihr nehmt euren Töchtern die Luft zum Atmen“, sagte sie immer. „Und irgendwann |159| werden sie innerlich sterben und ihr werdet es nicht einmal merken!“
Anne wurde nach diesen Worten sehr nachdenklich, aber da Tante Birsen keine Töchter, sondern nur Söhne hatte, die auch noch bei ihren Großeltern in der Türkei lebten, erwiderte Anne diese Worte letztlich doch immer nur mit Schulterzucken.
Birsen Teyze besuchte uns immer dann, wenn mein Vater nicht zu Hause war. Sie mochte meinen Vater nicht. Aber das beruhte auf Gegenseitigkeit.
Mine und ich wollten unbedingt einmal bei Birsen Teyze übernachten und Anne hatte es uns nach langem Zögern auch erlaubt.
Es war einer der schönsten Abende in unserem Leben. Kichernd gingen wir durch „Aldi“ und packten den Einkaufswagen voll mit Chips, Cola und Schokolade. „Mädchen, heute lassen wir es krachen“, sagte Tante Birsen und nahm noch eine große Flasche Wein mit.
Birsen Teyze hatte eine sehr kleine, aber schöne Wohnung. An der Wand hingen einige Fotos von ihren zwei Söhnen. Mine und ich standen vor einem großen Bücherregal und waren überrascht, dass Birsen Teyze so viele Bücher besaß.
„Wenn ihr eines dieser Bücher mal gelesen habt, versteht ihr unsere Welt besser“, sagte sie und drückte Mine eines in die Hand.
Wir bereiteten gemeinsam das Abendessen vor und deckten den Tisch, nur für uns drei Frauen. Während wir aßen, erzählte uns Birsen Teyze von ihren Büchern.
„Mädchen, Duygu Asena ist die Antwort auf unsere Fragen“, sagte sie.
Duygu Asena sei eine Feministin und alle Männer würden sie deshalb hassen.
|160| „Sie ist die mutigste Frau in der Türkei und sie ist unser Idol, unsere Hoffnung. Es lebe Duygu Asena!“, rief Birsen Teyze und erhob ihr Weinglas.
Es sollte eine unvergessliche Nacht werden. Birsen Teyze sagte Worte, die mein Herz höher schlagen ließen. Sie trank ein Glas Wein nach dem anderen, und ihre Zunge wurde immer schärfer. Sie nahm ein Buch aus dem Regal und zitierte ein paar
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