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Ich uebe das Sterben

Titel: Ich uebe das Sterben
Autoren: Gritt Liebing
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Gedanken.
    Der Tag für die Implantation meines Defibrillators wird festgelegt: 13. August 1999.
    Am Tag zuvor kommt der zuständige Chirurg vorbei, um mir den Ablauf der Operation am nächsten Morgen zu erklären. Ich kann ihm gar nicht zuhören, will den Tatsachen noch immer nicht ins Gesicht sehen. Der Arzt lässt ein Formular auf meinem Nachttisch liegen. Ich soll durch meine Unterschrift in die Operation einwilligen.
    Dann folgt der Anästhesist. Er beschreibt mir den Ablauf der Narkose und bringt mir ein weiteres Formular, das ich unterschreiben soll.
    Ich ignoriere beide Formulare – so wie die Notwendigkeit des Eingriffes.
    Am Abend des 12. August habe ich die Unterschriften immer noch nicht geleistet. Das Pflegepersonal spricht mich mehrmals darauf an. Ich sage ihm, dass ich mein Leben nicht von einem Aggregat abhängig machen will. Das stößt bei meinen Gesprächspartnern auf unterschiedlichste Reaktionen: Einige schütteln wortlos den Kopf, andere ziehen genervt ihre Augenbrauen hoch, und wieder andere sagen mir, dass sie mich verstehen könnten und in meiner Situation auch nicht in die Implantation einwilligen würden.
    Mein Leben wird auch ohne den Defibrillator weitergehen, rede ich mir ein. Immerhin habe ich schon vierunddreißig Jahre ohne so ein Ding gelebt.
    Mit dieser Einstellung fordere ich das Schicksal heraus, doch das begreife ich zu diesem Zeitpunkt nicht. Ich begreife auch nicht, dass ein Defibrillator nicht nur ein bedeutender medizinischer Fortschritt, sondern ein Geschenk des Himmels ist. Er schenkt Leben. Aber ich bin mir nicht bewusst, wie ernst meine Lage ist. Oder besser gesagt: Ich will es nicht wahrhaben.
    Nach dem Abendessen kommt ein weiterer Arzt in mein Zimmer. Er ist einer der leitenden Ärzte und gehört zu denjenigen, die ihren Patienten gegenüber Kompetenz, Freundlichkeit und eine stoische Ruhe ausstrahlen; mit ihm habe ich mich auf Anhieb gut verstanden. Er nimmt mich mit in sein Büro, wo er mir ruhig, sachlich, dennoch auf eine überaus sympathische Art und Weise erklärt, warum ich den Defibrillator brauche und was man in Fachkreisen über das Brugada-Brugada-Syndrom weiß.
    Außerdem gibt er mir etwas in die Hand: den Dummy des Defibrillators, der ab dem nächsten Tag in mir »wohnen« soll.
    Der Dummy ist kleiner als eine Zigarettenschachtel, wiegt etwa ein halbes Pfund. Und irgendwie fühlt er sich richtig gut an. Er sieht aus wie Ted, die altkluge Wanze aus meinem Lieblingscomic Bone .
    Dieses Gespräch bewegt mich letztlich dazu, der Implantation des Defibrillators zuzustimmen.
    In der Nacht finde ich kaum Schlaf und stehe mehrmals vor dem Spiegel, um meinen Oberkörper zu betrachten. Morgen wird dort auf der linken Seite, knapp unterhalb des Schlüsselbeins, eine Beule sein: Ted.
    Ich bin nervös, hadere mit meiner Entscheidung für den Defibrillator. Die Zeit vergeht wie in Zeitlupe. Jede Minute scheint endlos.
    Um fünf Uhr morgens hängt mir die Nachtschwester eine Infusion zur Blutverdünnung an. Damit soll die Gefahr einer Embolie gebannt werden. Ich beobachte, wie die Tropfen in meine Venen fließen, und schlafe tatsächlich noch mal für eine halbe Stunde ein. Dann bringt mir die Nachtschwester ein sogenanntes Flügelhemd, das ich bei meiner Operation tragen muss. Es ist weiß mit feinen gelben Streifen, und die gelbe Farbe lässt Sonne in mein Herz. Merkwürdig, welche Kleinigkeiten in solchen Situationen zum Wohlbefinden beitragen können.
    Ich bin die Erste auf dem Operationsplan. Das Personal im Operationsvorbereitungsraum ist zu dieser frühen Stunde außerordentlich freundlich und hüllt meinen vor Kälte und Aufregung zitternden Körper in vorgewärmte Decken.
    Der Pfleger, der sich um mich kümmert, ist ein Mann wie ein Baum. Er redet ruhig mit mir, während er eine Nadel in meinen Arm legt. Später sollen noch eine Nadel in das linke Handgelenk und ein Zentralvenenkatheter direkt in die rechte Seite des Halses gelegt werden, erklärt er mir. Dies wird jedoch erst gemacht, wenn ich schon im Land der Träume schlummere, da mir der Schmerz erspart werden soll.
    Ich werde an ein EKG angeschlossen, und mein Körper wird auf einem Tisch festgeschnallt. Es scheint alles nach Plan zu laufen.
    Doch genau in dem Moment, als das erste Medikament in meine Venen fließt, spüre ich wieder den Hornissenschwarm in meinem Körper.
    Das Letzte, was ich noch wie aus weiter Ferne höre, ist die Stimme des Pflegers: »Schnell, Kammerflimmern, schnell! Wo ist der
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