Ich Und Kaminski
Ich war so jung.«
»Und?«
Ein nachdenklicher Ausdruck ging über ihr Gesicht. »Ich wußte nichts.«
»So wenig wußtest du nicht.«
»Das will ich meinen«, sagte Holm. »Immer wenn ich Theschen frage...«
»Halten Sie den Mund!« sagte ich. Er sog die Luft ein und starrte mich an.
»Nein, Manuel. Ich erinnere mich wirklich nicht mehr.« Ihre Mundwinkel zogen sich nach oben, ihre Stirn wurde glatt, sie drehte die Fernbedienung in der Hand, ohne die Finger zu krümmen.
»Die beste Geschichte kennen Sie gar nicht«, sagte Holm. »Das war Theschens fünfundsiebzigster Geburtstag, und alle waren da: Kinder, Enkel, endlich einmal alle zusammen. Niemand hat gefehlt. Und als sie dann For she's a jolly good fellow gesungen haben, genau in dem Moment, vor dem großen Kuchen...«
»Fünfundsiebzig Kerzen«, sagte sie.
»So viele nicht, dafür war kein Platz. Wissen Sie, was sie gesagt hat?«
»Es waren aber fünfundsiebzig!«
»Wir müssen gehen«, sagte Kaminski.
»Wissen Sie, was Sie gesagt hat?« Die Türglocke schrillte. »Nanu?« Holm stand auf und ging in den Flur, draußen hörte man ihn schnell und angeregt mit jemandem sprechen.
»Warum bist du nie gekommen?« fragte sie.
»Dominik hat gesagt, du wärst tot.«
»Dominik?« fragte ich. »Sie haben doch behauptet, Sie kennen ihn nicht.« Er runzelte die Stirn, Therese sah mich überrascht an, beide schienen vergessen zu haben, daß ich da war.
»Hat er das?« fragte sie. »Warum?«
Kaminski antwortete nicht.
»Ich war jung«, sagte sie. »Man macht komische Dinge. Ich war jemand anderer.«
»Das warst du wohl.«
»Du hast anders ausgesehen. Du warst größer und... hattest so viel Kraft. Solche Energie. Mir war schwindlig, wenn ich lange bei dir war.« Sie seufzte. »Jung sein ist eine Krankheit.«
»Das Fieber der Vernunft.«
»La Rochefoucauld.« Sie lachte leise. Kaminski lächelte einen Moment. Er beugte sich vor und sagte etwas auf französisch.
Sie lächelte. »Nein, Manuel, nicht für mich. Im Grunde hat alles danach angefangen.«
Ein paar Sekunden war es still.
»Was hast du denn nun gesagt?« fragte er heiser. »Bei deinem Geburtstag?«
»Wenn ich das wüßte!«
Holm kam zurück. »Sie wollte nicht hereinkommen, sie hat gesagt, sie wartet. Möchten Sie jetzt Kaffee?«
»Es ist schon spät«, sagte Kaminski.
»Sehr spät«, sagte ich.
»Sie sind doch gerade erst gekommen!«
»Wir könnten zusammen fernsehen«, sagte sie. »Gleich kommt das Millionenspiel.«
»Köhler ist ein guter Moderator!« sagte Holm.
»Ich habe gelesen, er wird heiraten«, sagte sie.
Kaminski beugte sich vor und reichte mir die Hand, ich half ihm beim Aufstehen. Mir schien, daß er noch etwas sagen wollte; ich wartete, doch er schwieg. Sein Griff um meinen Arm war schwach, kaum zu fühlen. In meiner Tasche spürte ich, ich hatte es fast vergessen, das noch laufende Diktaphon. Ich schaltete ab.
»Sind Sie öfters in der Gegend?« fragte Holm. »Sie müssen wiederkommen. Nicht wahr, Theschen?«
»Ich stelle dir dann Lore vor. Und ihre Kinder. Moritz und Lothar. Sie wohnen in der Parallelstraße.«
»Das ist schön«, sagte Kaminski.
»Was für eine Art Kunst machen Sie eigentlich?« fragte Holm.
Wir gingen in den Flur, Holm öffnete die Haustür. Ich drehte mich um, Therese war uns nachgekommen. »Gute Fahrt, Miguel!« sagte sie und verschränkte die Arme. »Gute Fahrt!«
Wir gingen durch den Vorgarten hinaus. Die Straße war leer, nur eine Frau schlenderte auf und ab. Ich bemerkte, daß Kaminskis Hand zitterte.
»Fahren Sie vorsichtig!« sagte Holm und schloß die Tür.
Kaminski blieb stehen und hob die andere Hand, die den Stock hielt, an sein Gesicht. »Es tut mir leid«, sagte ich leise. Ich brachte es nicht fertig, ihn anzublicken. Es war kalt geworden, ich schloß meine Jacke. Er lehnte schwer an meinem Arm.
»Manuel!« sagte ich.
Er antwortete nicht. Die Frau drehte sich um und kam auf uns zu. Sie trug einen schwarzen Mantel, und ihr Haar flatterte im Wind. Vor Überraschung ließ ich Kaminski los.
»Warum bist du nicht hereingekommen?« fragte Kaminski. Er schien nicht erstaunt.
»Er hat gesagt, ihr wärt gleich fertig. Da wollte ich es nicht in die Länge ziehen.« Miriam sah mich an. »Und jetzt geben Sie mir den Autoschlüssel!«
»Wie bitte?«
»Ich bringe das Auto zurück. Ich hatte ein langes Telefonat mit der Besitzerin. Ich soll Ihnen ausrichten, wenn Sie Schwierigkeiten machen, bekommen Sie eine Diebstahlanzeige.«
»Das war
Weitere Kostenlose Bücher