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Ich war zwölf...

Ich war zwölf...

Titel: Ich war zwölf... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathalie Schweighoffer
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sich in meinem Bauch bewegt und mir weh tut. Ich habe Bauchweh, und ich
weiß nicht einmal, was mir weh tut. Ich kann ihn anflehen so viel ich will, er
antwortet nicht mehr. Es ist, als spräche ich zu einer Wand. Ich habe genug.
Ich weine, mir tut es weh, und niemand schert sich darum. Keiner kommt, um
diesem Horror ein Ende zu machen. Niemand. Leer das dunkle Zimmer, leer die
dunkle Wohnung, leer die Welt.
    Ich kann nicht so liegenbleiben und
nichts tun. Ich versuche, meine Beine loszumachen, mich mit den Ellenbogen auf
das Bett zu stützen, um zu sehen, was geschieht, warum es mir weh tut. Keine
Zeit. Mein Vater verabreicht mir eine saftige Ohrfeige, ich falle nach hinten
zurück. Ich wage nicht mehr, mich zu rühren. Auf dem Boden liegt der Gürtel.
Wenn ich mich rühre, wird er wieder damit anfangen. Da ziehe ich noch die
Schläge mit der flachen Hand vor.
    Ich versuche, seine Hand
zurückzuziehen, die auf meinem Geschlecht liegt. Es tut immer stärker weh. Ich
muß aufstehen können. Unmöglich. Ich bin festgenagelt.
    Jetzt, als er mir so richtig weh getan
hat, als er mich schlimmer als je zuvor erniedrigt hat, zieht er seine Hand
zurück. Mein Bauch entspannt sich. Fast augenblicklich tut es mir weniger weh.
Aber der Ekel läßt nicht nach. Er hebt mich auf, aber nur mein Körper erhebt
sich. Nicht mein Kopf. Er bleibt gesenkt. Ich kann ihn nicht mehr anschauen, so
sehr schäme ich mich. Das ist die wahre Scham. Noch ein Wort gelernt. SCHAM.
    Er reicht mir meine Sachen, zwingt
mich, mich schnell anzukleiden. Ich will mich waschen. Ich muß mich waschen.
    Keine Zeit. Ich muß mit ihm weggehen,
mit ihm arbeiten.
    »Ich habe beschlossen, daß du mit mir
arbeiten wirst. Ich will nicht mehr, daß du allein zu Hause bleibst. Das kommt
nicht in Frage.«
    Ich ziehe mich an. »Habe ich mit Franck
geschlafen oder nicht?« Er antwortet nicht auf meine Frage. Noch nicht einmal
dazu läßt er sich herab. Ich möchte kotzen. Krepieren. Wenn ich daran denke,
was er mir angetan hat. Sterben. Nicht mehr dasein. Ein unsichtbarer Schatten
sein, damit mich niemand mehr sieht und er noch weniger. Weil ich jetzt weiß,
wie man das nennt. Inzest. Auch wenn ich nichts gesehen habe. Auch wenn ich
nicht gewollt habe. Auch wenn ich geweint, gebrüllt habe, ist es passiert. Das
hat dieser abscheuliche Kerl mir angetan. Und dazu muß ich mich noch ankleiden
und mit ihm arbeiten gehen, damit er mich überwachen kann. Welche Dummheit ich
begangen habe? Die einzige besteht darin, einen Vater wie ihn zu haben. Mit
Franck im Zimmer hat er mich in eine Falle gelockt. Das war nicht weiter
schwierig. Ich auf dem Bett, er auf dem Boden sitzend, das Haus leer. Fazit:
Ich bin eine Hure. Eine Schlampe. Schuldig. Bestraft. Beschmutzt. Erniedrigt.
    Er zieht mich zu seinem Mercedes.
Dieser verdammte weiße Mercedes. Noch eine Laune von ihm, von diesem
widerwärtigen Scheißvater. Und zudem muß ich einsteigen. Und dazu sammeln wir
auch noch den kleinen Bruder ein, der unten spielte, der nichts weiß, nichts
versteht, außer daß sich das Programm geändert hat, er wird nicht bei seinen Spielkameraden
im Hof bleiben. Er wird mit zur Arbeit kommen, auch er ist zu meiner
Überwachung da.
    Jetzt habe ich weniger Angst. All diese
Beleidigungen in meinem Kopf haben mich leer gemacht, beinahe ruhig bin ich. Im
Auto stelle ich die Frage noch einmal, in aller Ruhe. Was kann er machen, im
Auto, und mein kleiner Bruder dabei? Nichts. Also frage ich:
    »Habe ich mit Franck geschlafen oder
nicht?«
    »Nein. Bist du zufrieden?«
    Ich wußte es. Ich wußte es. Ich habe
mir nichts vorzuwerfen. Nicht das Geringste. Warum nimmt er mich mit? Ich werde
heulen wie ein Schloßhund, wenn er wieder anfängt. Nichts ist zu Ende, alles
fängt wieder an. Aber was fängt an? Ich will das wissen. Und dann will ich
allein sein. Ich will in meiner Ecke still vor mich hin weinen. Ich will meine
Qual loswerden können, indem ich eine Weile wie verrückt weine. Den lieben Gott
bitten, daß er mich von hier fortnimmt. Gibt es keinen Himmel mehr? Keinen
Freund mehr, keinen Gott, keinen Vater? Niemand verdient mein Vertrauen. Ich
will an niemanden mehr glauben. Ich will nichts mehr vom lieben Gott wissen. Er
ist so mächtig, und er hat nichts getan, um das zu verhindern? Habe ich ihn
nicht hundertmal darum gebeten? Habe ich nicht geschrien?
    Wenn du jung bist, stopft man dir den
Schädel voll mit Geschichten, die es nicht gibt. Man erzählt dir von einem
angeblich existierenden Kerl mit

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