Ich war zwölf...
zu schaffen
haben.
Was schaut mich der Kerl so an? Ich bin
ungekämmt, meine Haare hängen auf meinen Rücken herunter. Er sagt zu mir:
»Na, Zigeunerin?«
Ich bin kein Zirkustier. Er soll doch
verschwinden.
Ich mag Mama so sehr. Sie ist schön,
sanft. Wenn er ihr all das erzählt, wird sie mich verabscheuen. Sie hat kein
Recht dazu. Ich habe keinen Vater mehr. Mein Vater ist tot. Er ist heute
krepiert. Sie hat kein Recht, mich im Stich zu lassen.
Ich habe das Gefühl, daß er mich wieder
schlagen wird. Daß er noch Schlimmeres als vorhin machen wird.
Ich bleibe den ganzen Nachmittag auf
dem Hocker sitzen und all diese Gedanken kreisen in meinem Kopf. Unmöglich, an
etwas anderes zu denken. Ich versuch’s, aber es gelingt mir nicht. Mein ganzer
Kopf ist voll davon. Es gibt nichts anderes mehr.
»Komm da runter, wir holen deine Mutter
ab.«
Ich senke den Kopf, um ihn nicht
anschauen zu müssen. Vielleicht werde ich ihn nie mehr anschauen können, diesen
Kerl. »Papa«, daß ich nicht lache...
Sogar als ich neben ihm auf dem Sitz
des Mercedes Platz nehme, zittere ich vor Angst. Sobald ich seine Hand auf dem
Schaltknüppel sehe, krampft sich mir der Magen zusammen. Diese Hand ist
ekelerregend, weil sie so etwas getan hat. Ich möchte dieses Bild vergessen,
aber es erscheint ständig vor meinen Augen, auch wenn ich sie schließe.
Sowie wir ankommen, springe ich aus dem
Wagen, um mich in Mamas Auto zu setzen. Sie weiß es. Er muß sie im Laufe des
Tages angerufen haben, ich sehe es ihrem Gesicht an. Aber was weiß sie?
»Papa hat mir gesagt, daß er dich heute
Nachmittag mit Franck zu Hause vorgefunden hat. Was hast du gemacht?«
»Wir haben nichts Böses getan. Haben
uns unterhalten.«
»Hör zu, Nathalie. Lüg nicht. Du kannst
es mir erzählen.«
»Nichts, sag’ ich doch! Ich hatte bloß
keine Lust, zu Tante Marie zu gehen. Ich hab’ sie angerufen, und dann ist
Franck gekommen, er wollte, daß wir spielen, aber ich war müde. Ich hatte keine
Lust.«
»Warum seid ihr im Zimmer geblieben?«
»Weil ich müde war.«
»Lag er mit dir auf dem Bett?«
»Nein. Wir haben uns unterhalten.«
»Worüber?«
»Ich weiß nicht. Wir haben halt
geredet.«
»Dein Vater hat sich aufgeregt. Das ist
normal. Du darfst das nicht wieder tun, Nathalie.«
Was wieder tun? In Wirklichkeit weiß
sie nicht viel. Er hat ihr nicht erzählt, daß er Doktor gespielt hat. Das
dachte ich mir. Diese Schweinerei kann er ihr nicht erzählt haben. Und ich kann
es ihr auch nicht sagen. Das ist zu widerlich. Ich schäme mich zu sehr. Sie
schaut mich anders an als sonst. Er hat ihr wohl erzählt, ich wäre eine Hure.
Wahrscheinlich hat er’s allen erzählt. Deshalb schauen sie mich so seltsam an.
Ich bin schuld. Warum hat er mir das angetan? Warum? Schließlich stimmt es, ich
habe nichts Schlechtes getan. Er will, daß die anderen mich verachten.
Vielleicht ist er nicht mein wirklicher
Vater. Vielleicht hat man mich irgendwo gefunden, und meine Eltern haben mich
adoptiert. Ich sehe Mama sehr ähnlich, das ist möglich. Ich bin ihre Tochter.
Ich habe dieselben schwarzen Augen, dieselben schwarzen Haare.
»Hast du mir nichts anderes zu
erzählen?«
»Was? Was soll ich dir erzählen?«
»Nathalie, nicht dieser Ton! Wenn man
Dummheiten gemacht hat, hält man den Mund!«
Das ist der Gipfel! Erzähle oder
erzähle nicht? Halt den Mund... du hast Dummheiten gemacht.
»Und dann könntest du dich ein bißchen
kämmen.«
Ich bin die erste im Aufzug. Ich fahre
mit den anderen hoch. Ich will nicht mit ihm darin eingeschlossen sein.
Auch Véronique schaut mich merkwürdig
an.
»Was schaust du mich so an?«
»Du bist ganz rot!«
»Was geht dich das an?«
Ich laufe ins Badezimmer, um mich zu
waschen. Das Gesicht, die Hände, alles. Ich gehe unter die Dusche. Ich möchte
mich immer noch übergeben. Ich bin nicht rot, ich bin ganz weiß.
»Nathalie, deck den Tisch! Jetzt ist
nicht die Zeit, sich die Haare zu waschen! Bist du verrückt? Willst du mit
feuchten Haaren schlafen?«
»Es ist heiß.«
Ich habe mich gewaschen, aber ich fühle
mich noch genauso wie vorher. Wir sitzen bei Tisch. Wie immer spricht er von
seinem Job, das ist sein Lieblingsthema. Er arbeitet für einen Unternehmer,
aber er hat das Recht auf eine eigene Werkstatt. Er wird eine Firma gründen.
»Man muß im Leben sein eigener Herr
sein. Sonst bringt man’s zu nichts. Reich mir das Brot, Nathalie.«
Man möchte meinen, nichts sei
geschehen. Aber seine Stimme kommt mir
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