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Ich war zwölf...

Ich war zwölf...

Titel: Ich war zwölf... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathalie Schweighoffer
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angeblichen Kräften, die es gar nicht gibt.
Ein mächtiger Bursche, der es nicht einmal fertig bringt, einen Vater daran zu
hindern, mit seiner Tochter »das« zu machen. Euer Gott ist ein Haufen Scheiße.
Scheiße. Ich bin da, ich hab’ das nicht gewollt, ich kann nichts dafür. Kann
man mit mir machen, was man will, nur weil ich gerade zwölfeinhalb bin? Alles,
wozu man gerade Lust hat?
    Ich habe den lieben Gott fallengelassen,
wie er mich auch. Ich lag auf dem Bett, habe die Zähne zusammengebissen, das
Herz zog’sich zusammen und hab’ versucht, nicht solche Schmerzen zu haben. Ohne
ihn.
    Ich hatte ihn geliebt. Ich betete zu
ihm. Ich glaubte an ihn. Sie können sonntags zur Messe gehen und sich
niederknien, so oft Sie wollen. Mir wird man nicht mehr sagen, daß er da ist
und über mich wacht. Das ist Blödsinn. Nichts als der allergrößte Blödsinn.

2
     
    Ich habe Ferien, ein Tag im Juli. Ich
bin bestraft worden. Ich mußte in der großen Garage Platz nehmen, wo er auf
einem Drehhocker sitzend Autoradios repariert. Also baumle ich mit den Beinen,
nach rechts, nach links. Die Musik von einer Kassette dröhnt mir in den Ohren.
Ich darf mich von hier nicht wegbewegen, aber ich habe ohnehin keine Lust dazu.
Keine Lust zu laufen, zu essen, zu trinken oder zu reden. Keine Lust, gesehen
zu werden. Er wird es heute abend Mama sagen, wenn sie von ihrer Rundfahrt nach
Hause kommt. Mama verkauft Eis in einem Lastauto. »Vanille und Himbeere... sind
die Balken des Schicksals... la .. la.«
    Wird er ihr sagen, ich hätte mit Franck
geschlafen?
    Die Großen aus der dritten sprechen
manchmal vom Schlafen. Die da hat geschlafen... Die Jungen sagen: »Machst du’s
schon?« und lachen dabei wie die Idioten. Es machen, das heißt mit jemandem
schlafen und Liebe machen. An der Wand des Zeitungskiosks habe ich neulich ein
großes Plakat einer Zeitschrift, Union, gesehen, dem Magazin für
menschliche Beziehungen. Meine Freundin Arlette hat mir gesagt, das sei eine
Zeitschrift, in der alles erklärt wird. Auf dem Plakat war ein Mädchen im
Badeanzug, mit dem Hintern in der Luft. Und darunter die Schlagzeile »Liebe in
Missionarsstellung«. Das haben wir nicht verstanden. Arlette wollte die
Zeitschrift kaufen, aber sie traute sich nicht. Der Kerl vom Kiosk hat ein
widerliches Gesicht.
    Ich habe es nicht getan. Was wird er
Mama sagen? Ich hasse ihn. Ich bringe es nicht fertig, ihn anzuschauen, aber
ich sehe wohl, daß er mich von seiner Ecke aus anstarrt, obwohl er so tut, als
arbeite er an einem Radio. Er unterhält sich mit einem Kunden, er hält die
Lautsprecher in den Händen. Und er überwacht mich. Mein kleiner Bruder spielt
mit altem Werkstoff, er zieht an einem Tonband, macht Kügelchen daraus.
    »Guck, Nathalie, das bleibt an den
Fingern kleben.«
    »Laß mich in Ruhe.«
    »Was haste?«
    Ich zucke mit den Schultern. Ich weiß
nicht, was ich mit meinen Händen tun soll. Mama ist Sizilianerin. Sie hat eine
bestimmte Vorstellung von Mädchen. Insbesondere davon, was sie nicht tun
dürfen. Erstens, man darf nicht mit einem Jungen gehen, bevor man groß und es
wirklich ernst ist. Ich bin nicht groß. Nur ein bißchen. Seit dem Frühjahr, als
ich meine Regel bekam. Wenn sie einsetzt, ist man eine kleine Frau, und man muß
aufpassen, denn das bedeutet, man kann Kinder bekommen, wenn man mit Jungen
geht.
    Mama ist komisch. Eines Tages hat sie
mir das alles erklärt, als wir bei Tisch saßen und zu Mittag aßen. Vor Papa.
Ich war entsetzlich verlegen. Ich genierte mich, weil sie davon sprach, während
wir alle aßen. Ich wäre lieber ungestört mit ihr allein gewesen. Aber nein, sie
sprach von dem Tag, an dem ich meine Regel haben würde, während wir Steaks und
Pommes frites aßen.
    Papa sagte nichts. Meine kleine
Schwester hörte sehr interessiert zu. Sie wollte wissen, wann sie das bekommen
würde. Danach haben wir noch einmal mit Mama darüber geredet. Das war prima.
    »Du wirst sehen, du wirst glücklich
sein. Wenn man eine Frau wird, ändert sich der ganze Körper, es ist schön, eine
Frau zu sein.«
    An dem Tag, als es dann anfing, stürzte
ich aus dem Badezimmer und erzählte überall lautstark, daß ich es bekommen
hätte. So froh war ich. Es stimmt. Ich fühlte mich ganz neu. Ich trat in die
Welt der Erwachsenen ein, ich war ungeheuer stolz.
    Die Welt der Erwachsenen ist eine
Scheiße. Mein Vater ist ein Blödmann, und ich hasse ihn. Ich kann ihn nicht
mehr sehen. Wenn die Erwachsenen so sind, will ich nichts mit ihnen

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