Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch
meinem Inneren fahren meine Gefühle mit meinen Gedanken Achterbahn, ich bin völlig verwirrt. Aber eigentlich auch ein bisschen froh, dass Herr Krause nun nicht denkt, ich hätte zum Spaß als Callgirl gearbeitet.
Es war kein Spaß. Das war es nie. Es war eine Mischung aus Panik und Trotz, dass ich mich dort beworben habe. Ganz spontan, nachdem mein Stiefvater mich mal wieder beim Abspülen in der Küche »überrascht« hatte. Ich konnte seine Übergriffe nicht mehr ertragen!
Meinen Körper jemand anderem anzubieten, schien mir damals die einzige Möglichkeit, von zu Hause ausbrechen zu können. Mein Vater lebte nicht mehr, zu anderen Verwandten hatte ich keinen Kontakt, meine Mutter konnte und wollte mir nicht helfen. Und etwas anderes hätte ich mir nicht vorstellen können. Zur Polizei zu gehen? Absurd. Niemals hätte ich mich das getraut. Ich hatte schon länger über solche Escort-Firmen nachgedacht. So könnte ich den Albtraum Zuhause schlagartig beenden. Ich hätte ganz schnell das Geld für Miete, Kaution, Möbel und Essen zusammen. Wie sonst sollte ich so schnell zu so viel Geld kommen?
Die Anmeldung ging ganz einfach im Internet. Hätte es mehr Mühe gekostet oder hätte ich erst auf einen Rückruf warten oder mich sogar persönlich vorstellen müssen, hätte ich es vermutlich nicht durchgezogen. Aber ich musste nur einen Online-Fragebogen ausfüllen. Beim Alter habe ich geschummelt. Schließlich war ich erst 17 – aber das war denen wohl zu egal, um es richtig zu kontrollieren. Sie wollten lediglich noch ein Foto von mir haben und dann wurden mir schon die ersten Kunden vermittelt. Männer, meistens verheiratet, die sich in irgendwelchen Hotelzimmern mit mir verabredeten, nachdem wir am Telefon geklärt hatten, in welchem Outfit ich erscheinen soll. Mädchenhaft? Kein Problem! Supersexy? Selbstverständlich! Strapse? Alles da! Für zwei Stunden mit mir zahlten die Männer 300 Euro. Einhundert davon musste ich anschließend als Vermittlungshonorar an die Agentur schicken. Das war's.
Natürlich war es jedes Mal anstrengend und kostete Überwindung, sich auf den Weg zu einer solchen Verabredung zu machen. Aber es war allemal besser, sich mit fremden Männern in Hotels zu treffen, als rund um die Uhr meinem Stiefvater ausgeliefert zu sein. Zu Hause wusste ich nie, wann es wieder passieren und wie weit es gehen würde. Dort lebte ich in ständiger Panik und unter Daueranspannung. Bei diesen organisierten Treffen wusste ich wenigstens, was passieren würde. Und ich war es ja gewohnt, meine Gefühle einzusperren und meinen Körper zur Verfügung zu stellen.
Morgens ging ich also in die Schule, nachmittags lernte ich fürs Abi und abends traf ich mich zwei- bis dreimal pro Woche mit irgendwelchen Männern oder mit meinen Freundinnen. Zwischendurch verbrachte ich so viel Zeit wie nur möglich bei meinen geliebten Pferden – zur Seelenpflege.
Meine Mutter meldete sich erst mal nicht bei mir. Wahrscheinlich aus Angst vor meinem Stiefvater. Zumindest hoffte ich das. Aber vielleicht war ich ihr auch egal oder sie war froh, dass ich endlich weg war. Nach einer Woche schrieb ich ihr dann eine kurze SMS, dass es mir gut ginge und ich ausgezogen sei. Sie fragte nicht einmal, wohin … Und als ich meinen Bruder Alex anrief, der leider mal wieder wegen seiner Essstörung in einer Klinik war, um ihm von den Neuigkeiten zu erzählen, blieb er erst mal still. Und schließlich sagte er entschlossen: »Okay. Das mache ich auch. Sobald ich aus der Klinik entlassen werde, packe ich meine Sachen und bin weg.« Bei ihm passte das zeitlich natürlich ganz gut. Alex hatte seit dem Sommer das Abi in der Tasche und wollte eh weiter weg zum Studieren.
Ich dagegen hatte noch zweieinhalb Jahre Schule vor mir. Zweieinhalb Jahre Lernen, Reiterhof, Hotelzimmer. Es war – um es kurz zu sagen – eine schlimme Zeit. Ich fühlte mich grauenhaft, wenn ich mich abends mit widerwärtigen Männern treffen musste. Als Ausgleich strengte ich mich in der Schule und beim Sport besonders an. Ich gewann einige wichtige Reitturniere und schaffte ein Einser-Abi. Meine Mutter dämmerte immer weiter in ihrem Alkohol-Sumpf vor sich hin und kam nicht mal zur Abi-Verleihung. Damit war sie wohl die einzige Mutter unseres Jahrgangs, die sich dieses Ereignis entgehen ließ. Es machte mich traurig, wie sich unser Verhältnis verändert hatte. Sie war früher immer so liebevoll gewesen – bis mein widerlicher Stiefvater damals zu uns kam, kaum dass mein
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