Ich will dich
diese kleinen Zeichen der Zuneigung schienen ihm schwer zu fallen.
Er räusperte sich, öffnete das Buch und begann zu lesen: „Es war einmal…”
„Nicht da anfangen”, erklärte Brittany, nahm das Buch und blätterte weiter. „Lies da weiter, wo es spannend wird.”
Clayton schüttelte lachend den Kopf, nahm erneut das Buch und begann wieder zu lesen. „Der bösen Stiefmutter gefiel das überhaupt nicht …” Als er eine kleine Hand auf seinem Oberschenkel spürte, sah er auf und entdeckte Branden, der neben seinem Stuhl stand und zu ihm hochblickte.
Er setzte Brittany auf ein Knie, klopfte mit der flachen Hand auf seinen freien Oberschenkel und sagte: „Rauf mit dir, Cowboy. Hier ist auch noch Platz für dich.”
Rena war glücklich. Die kleine Szene, deren Zeuge sie soeben geworden war, bedeutete gewissermaßen einen Durchbruch. Es war dumm von ihr gewesen zu erwarten, Claytons Verhalten würde sich wie durch ein Wunder über Nacht ändern. Wenn man ein Leben lang seine Gefühle unterdrückt hatte, konnte man das schließlich nicht von einem Tag auf den anderen ablegen. Dazu waren Zeit und Geduld nötig.
Bei diesem Gedanken kamen Rena plötzlich wieder Zweifel.
Würde Clayton sich diese Zeit denn überhaupt nehmen? Wie lange konnte er noch bleiben? Bestimmt würde er bald ge zwungen sein, wieder zu einem Rodeo zu fahren, um seinen guten Platz auf der Rangliste zu behaupten und die Chance wahrzunehmen, erneut Champion zu werden.
Vier Tage nach Brandon bekam auch Brittany die
Windpocken. Doch während Brandon lediglich ein paar rote Flecken bekommen hatte, war Brittany beinahe sofort von Kopf bis Fuß mit dem typischen Ausschlag bedeckt, und, was das Schlimmste war, sie kam nur sehr schlecht damit zurecht. Sie wimmerte, klagte, weinte und kratzte sich ständig, bis Rena mit den Nerven fast am Ende war.
Den ganzen Tag betupfte sie immer wieder alle juckenden Stellen mit Zinklösung, versorgte ihre Tochter mit allem, was sie sich wünschte; versuchte, sie abzulenken und bei Laune zu halten. Doch bereits einen Tag nach Ausbruch von Brittanys Windpocken war Rena so erschöpft, dass sie Claytons Angebot, die Kleine in den Schlaf zu wiegen, gern annahm.
Rena legte sich in ihr Bett, rollte sich auf die Seite und war ziemlich rasch eingeschlafen.
Vier Stunden später wachte sie auf. Sie setzt e sich auf, rieb sich den Schlaf aus den Augen und überlegte, ob sie durch ein Geräusch geweckt worden war. Rena lauschte, doch alles war ruhig. Trotzdem schlüpfte sie aus dem Bett und schlich auf Zehenspitzen den Gang entlang, um nachzuschauen, ob Brittany weinte.
In der Tür zum Kinderzimmer blieb Rena stehen. Das Bild, das sich ihren Blicken bot, berührte sie tief. Im sanften Mondlicht, das durchs Fenster fiel, saß Clayton im Schaukelstuhl und schlief. Er hielt die schlafende Brittany im Arm, die sich an seine Brust geschmiegt hatte.
Langsam ging Rena durch das Zimmer und auf die beiden zu.
Dann strich sie Clayton das Haar aus der Stirn und küsste ihn sanft auf die Schläfe. Bei ihrer Berührung schlug er die Augen auf und sah sie an. Sie lächelte ihn zärtlich an und strich über seine Wange.
„Du solltest ins Bett gehen”, sagte sie leise.
Clayton schloss kurz die Augen, seufzte und schmiegte einen Moment lang die Wange in Renas Hand. „Ich bringe nur noch Brittany ins Bett.”
„Nein, das übernehme ich. Du bist ja ganz müde.”
Sobald er Brittany in Renas Arme gelegt hatte, wünschte Clayton ihr eine gute Nacht und ging zur Tür. Rena blickte ihm nach, bis er das Zimmer verlassen hatte. Dann legte sie Brittany ins Bett und wartete einen Augenblick lang, um sicher zu sein, dass sie nicht wieder aufwachte.
Als Rena schließlich zu ihrem Schlafzimmer zurückging, blieb sie vor Claytons Tür stehen. Im Mondlicht konnte sie Claytons ausgestreckten Körper auf dem Bett erkennen.
Während sie ihn betrachtete, dachte sie an alles, was Clayton in den letzten Tagen getan hatte, um ihr zu helfen und die Kinder bei Laune zu halten, und mit welcher Selbstverständlichkeit er inzwischen mit den beiden umging. Sie erinnerte sich daran, wie sie ihn vor wenigen Minuten im Schaukelstuhl mit Brittany gefunden hatte, und an das, was er ihr von seiner eigenen Kindheit erzählt hatte. Ob ihn wohl jemals jemand in den Schlaf gewiegt hatte, wenn er krank gewesen war? Ob wohl jemals jemand seinen Schmerz gelindert hatte, wenn es ihm schlecht gega ngen war?
Sie kannte die Antwort.
Auf Zehenspitzen durchquerte
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